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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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stünden.
    Doch der einstige Sträfling winkte ab. Friedrich Wieck wollte beharren, aber Clara setzte sich an das Instrument und kündigte die »Polonaise in Es« an, die sie selbst komponiert hatte. Dann fing sie ohne weitere Verzögerung zu spielen an.
    Das einstige Pianoforte mit den schwarzen Tasten war noch schlechter, als sie erwartet hatte. Trotzdem spielte sie weiter. Es kostete sie alle Kraft, die Tasten zu zähmen, aber es gelang ihr. Als sie geendet hatte, blieb es still im Raum. Clara wusste nicht, was sie davon halten sollte, aber sie zweifelte nicht daran, einer wie Paganini würde erkennen, dass sie ihr Bestes gegeben hatte. So stand sie auf und verneigte sich.
    Erst jetzt sah sie, dass in Paganinis Augen ein Lächeln funkelte, ein wenig schelmisch, wie sie es nie von ihm erwartet hätte. Dann warf er plötzlich ein Bein und einen Arm zurück und machte einen besonders tiefen Kratzfuß vor ihr, der sie zum Lachen brachte. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, ergriff er ihre Hand und küsste sie ehrerbietig. »Madamigella Clara Wieck!«, sagte er mit seiner knarzenden Stimme, die sie unwillkürlich an ihren Vater erinnerte. »Sieben Jahre sind doch zu viel. So lange kann ich unmöglich warten. Ich werde früher zurückkommen müssen.«
    Alle lachten nun und klatschten. Friedrich Wieck fragte Paganini, ob er Clara einen Rat geben könne.
    Paganini wurde ernst. »Sie werden eine Frau sein, mein liebes Kind«, sagte er fast mitleidig. »Ich spüre, dass Sie starke Empfindungen haben und viel Temperament. Bei Männern schätzt man das. Auch Frauen dürfen auf der Bühne Gefühle zeigen – aber nur musikalisch. Verstehen Sie, was ich meine? Frauen dürfen nicht unruhig wirken. Sie wollen einen Rat? Hier ist er: Bewegen Sie sich nicht zu viel, wenn Sie Klavier spielen! Das Publikum schätzt weibliche Zurückhaltung. Ein Mann soll sich benehmen wie ein Mann, eine Frau wie eine Dame.« Er schüttelte ärgerlich den Kopf. »Verzeihen Sie mir! Ich rede Unsinn. Ich hasse, was ich sage, aber, bei Gott, ich fürchte für Sie, dass es die Wahrheit ist.«
    Die nächsten Tage verflogen wie im Fieber. Gegen Mittag pflegte Paganini im Hause Wieck aufzutauchen, unangemeldet und in Begleitung mehrerer Mitglieder seiner Entourage. Alle fühlten sich sofort wie zu Hause, belegten sämtliche Räume, schäkerten mit den Hausmädchen und drängten dem Diener August Wein auf, den er nur unter Protest zu trinken wagte, weil er wusste, dass ihn seine Herrin dafür ausschelten würde.
    Doch diesmal reagierte Clementine Wieck milder als sonst. Sie unterdrückte ihren Groll darüber, dass niemand auf den Gedanken gekommen war, sie wenigstens zu einem der Konzerte einzuladen. Sie fand sich plötzlich ausreichend entschädigt durch die Aufmerksamkeit der italienischen Gäste, die zu ihr in die Küche stürmten, sie umarmten und überschwänglich »Mamma Wieck« nannten. Gerne hätte sie eingewandt, dass »Mamma Wieck« noch keine fünfundzwanzig Jahre alt war und damit jünger als die meisten Kavaliere, die sie so titulierten. Doch sie schwieg und ließ sich von all der Verehrung und Zuneigung, mit der man sie überhäufte, fortreißen. Während man sie herzte und ihre blauen Augen rühmte, kam sie zu dem für sie ungewöhnlichen Schluss, dass sogar Italiener vielleicht ihre Qualitäten haben mochten. Jedenfalls, so stellte sie mit Erstaunen fest, warihr Leben bisher noch nie so lustig gewesen und sie selbst noch nie so ... ja: glücklich.
    Sie waren alle glücklich, vor allem Clara. Zu jedem der vier Konzerte wurde sie eingeladen, zweimal sogar als besonderer Gast, der hinter dem Künstler auf der Bühne sitzen durfte. Paganini hatte gelernt, sie zu schätzen. Er küsste sie ab, als sie eines Mittags für ihn über Motive aus italienischen Opern fantasierte. Er nannte sie seine Seelenverwandte, »eine richtige kleine Paganinella«.
    Friedrich Wieck war entzückt. Kein R drang mehr ungerollt aus seinem Mund, und längst übertraf das Gebüsch seiner Brauen jenes des Maestro. So war es fast ein Trauertag, als sich die Wilde Jagd wieder vor dem Hotel formierte, begleitet von den Direktoren des Gewandhauses und vom untröstlichen Hotelpersonal, das jede Unordnung und Ruhestörung längst verziehen hatte.
    Nicht nur Friedrich Wieck kämpfte mit den Tränen, als Clara dem Sohn des Maestro ein Körbchen voll Weintrauben mit auf die Reise gab. Ein letztes Mal ertrug sie den feuchten Kuss des künftigen Virtuosen, und ein letztes Mal in

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