Das Maedchen am Klavier
Namen gegeben.«
Clara horchte auf. »Welche denn?«, fragte sie und lachte.
Er zierte sich ein wenig. Auf einmal war es ihm peinlich, dem jungen Mädchen so viel Persönliches anzuvertrauen. Doch Clara insistierte so lange, bis er nachgab. »Eusebius und Florestan«, gestand er. »Eusebius, der Milde, und Florestan, der Wilde. Beide Charaktere sind in mir und beide bekämpfen sich immer wieder. Wahrscheinlich werde ich erst Frieden finden, wenn sich die beiden versöhnt haben.« Mit leiser, undeutlicher Stimme, als wollte er eigentlich gar nicht verstanden werden, zitierte er sich selbst:
»Florestan, den Wilden, Eusebius, den Milden,
Tränen und Flammen, nimm sie zusammen
In mir beide, den Schmerz und die Freude.«
Er wartete auf eine Antwort. Doch Clara schwieg. Eine Weile gingen sie wortlos dahin. »Für deine Doppelgängerin habe ich auch einen Namen erfunden«, sagte er dann plötzlich.
Clara blieb stehen. »Ist das wahr?«, rief sie erfreut. »Welchen denn?« Nichts hätte ihr mehr schmeicheln können.
»Zilia«, sagte er und lachte nun ebenfalls, wenn auch ein wenig verlegen.
Clara ließ den Klang des Namens nachwirken. »Zilia«, wiederholte sie. »Zilia, das ist schön!« Auch sie war nun verlegen.
Während des gesamten Weges sprachen sie nicht mehr miteinander. Erst als sie die Grimmaische Gasse bereits erreicht hatten, sagte Robert Schumann, um den Bann zu brechen, mit gespielt tiefer Stimme: »Dein Vater hat auch einen Doppelgängernamen. Er heißt Meister Raro.«
»Meister Raro?« Clara prustete los. »Das trifft es! Eusebius und Florestan, Clara und Zilia und als Herrscher über allem Meister Raro, der immer nur ein Einziger ist. Man könnte eine Oper über uns schreiben.«
Im Haus trennten sie sich. Clara ging in die Küche, um etwaszu trinken, und Robert Schumann stieg hinauf zu seinen zwei Zimmern. Als er schon fast oben angelangt war, rief ihn Clara zurück. »Haben Sie sonst noch für jemanden einen Namen erfunden?«, erkundigte sie sich.
Er blieb zögernd stehen. »Vielleicht«, sagte er heiser, ohne sich umzudrehen.
»Was heißt das: vielleicht? Haben Sie, oder haben Sie nicht?«
Er ging weiter. »Ich weiß es nicht mehr«, antwortete er und ließ die Tür hinter sich zufallen.
Clara stand noch immer im Flur. Sie war sicher, dass er etwas vor ihr verheimlichte. Eigentlich wäre Zilia, die Neugierige, Kapriziöse, gern die Einzige in seinem Fantasiereich gewesen, und sie war ein wenig eifersüchtig. Doch Clara, die Vernünftige, ließ sich durch solche Kindereien nicht die Laune verderben. Clara kannte den Wert der Realität und wusste, was sie wollte und was von ihr verlangt wurde.
Wochen später, als sie mit ihrem Vater zu einem Konzertauftritt nach Zwickau reiste, erzählte sie ihm in der Langeweile der Postkutschenfahrt von Robert Schumanns Doppelgängertheorie.
Friedrich Wieck war davon nicht begeistert. »Doppelgänger bringen Unglück, sagt man. Sie zerreißen die Seelen«, knurrte er. »Obwohl ich sagen muss: Das Ganze ist in Wahrheit doch nur romantischer Unsinn. Der feine Herr sollte lieber üben, statt seine Zeit mit solchen Hirngespinsten zu vergeuden.«
»Für dich hat er sich auch einen Namen ausgedacht, Papa.«
Friedrich Wiecks Brauen sträubten sich, obwohl er sie seit seiner Pariser Paganini-Enttäuschung jeden Morgen mit einem Tupfer Schmalz zu zähmen suchte. »Welchen?«, fragte er so missmutig, dass Clara schon bereute, davon angefangen zu haben. »Meister Raro«, sagte sie dann aber doch. »Klingt gut, nicht wahr?«
Friedrich Wieck erstarrte. »Meister Raro, so, so!«, brummte er. »Sehr schmeichelhaft. Mein begabter Schüler hält es also auch noch mit den Davidsbündlern! Es ist wohl an der Zeit, dass er sich eine andere Bleibe sucht.«
Clara erschrak. »Davidsbündler?«, fragte sie. »Was ist das, Papa?« Sie hatte plötzlich Angst und wusste nicht, wovor. Während ihres ganzen Lebens hatte sie nur den Obrigkeitsstaat gekannt, der jeder eigenen Meinung und jeder Gruppenbildung mit Misstrauen und Strenge begegnete. Einem Bund anzugehören bedeutete fast schon Aufruhr, und Aufruhr war ein Verbrechen.
Doch Friedrich Wieck zuckte nur die Achseln. »Spinner sind das«, erklärte er. »Junge Kerle, die nichts Besseres zu tun haben, als in Wirtshäusern herumzuhocken und über Politik zu stänkern. Meister Raro – so nennen sie einen geldgierigen Spießer.«
Clara legte ihre Hand auf seinen Arm. »Das muss ein Irrtum sein, Papa!«, versicherte sie. »Du
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