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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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Robert Schumann Ja zu den Vorgaben seines neuen Lehrers und versprach, von nun an jeden Tag mindestens zwei Stunden durch die Gegend zu wandern, schnell, ganz schnell. So schnell, wie es seine Hilfslehrerin Clara bestimmen würde. Dass sie noch klein war und er ziemlich groß, würde für ihn von Vorteil sein, hoffte er.
    Von nun an machten sie sich jeden Mittag sofort nach dem Essen auf den Weg. Das Glas Wein, an das sich Robert Schumann zum Hauptgang gewöhnt hatte, fiel mangels Angebot ebenso aus wie ein süßer Nachtisch zum Schließen des Magens. Eigentlich war Robert Schumann nach Beendigung der Mahlzeit immer noch genau so hungrig wie am Anfang, während Friedrich Wieck bereits die flache Hand auf den Magen legte und schnaubte, als hätte er sich überessen.
    Bei ihrem ersten Spaziergang regnete es in Strömen, beim zweiten brannte die Sonne. Robert Schumann fing an, dieses Kind zu hassen, das so leichtfüßig einherschritt und immer wieder die Arme ausbreitete, um durchzuatmen. Er imitierte ihre Übungen und war froh, wenn niemand in der Nähe war, der ihn beobachten konnte. Fast gegen seinen Willen lernte er nun die Wiesen und Wälder, die Felder, Dörfer und Weiler kennen, die die Stadt umgaben, Leipzig, das er bei seinem ersten Aufenthalt »die steinerne Stadt« genannt hatte, weil er niemals die Gelegenheit ergriffen hatte, es genauer kennenzulernen. Nun gewöhnte er sich daran, an einem einzigen Nachmittag bis Connewitz und zurück zu marschieren und manchmal auch noch darüber hinaus.
    »Schön ist es hier, nicht wahr?«, lächelte ihm Clara zu, als sieeinen kleinen Teich erreicht hatten, über dem die Libellen kreisten. In einem Anflug von Nachsicht setzte sie sich auf einen morschen Baumstamm. Erleichtert folgte Robert Schumann ihrem Beispiel. Mit geheimnisvoller Miene griff Clara in ihre Rocktasche und holte einen Apfel hervor. »Wollen Sie abbeißen, Herr Schumann?«, fragte sie und hielt ihm die Frucht hin. Er nickte dankend. Gemeinsam verzehrten sie den Apfel, bis nur noch der Stängel übrig war. Robert Schumann konnte sich nicht erinnern, jemals etwas Köstlicheres genossen zu haben.
    Von nun an legten sie jedes Mal kleine Pausen ein, um etwas zu naschen oder sich zu unterhalten. Clara erzählte von ihren Reisen und von den vielen Menschen, denen sie begegnet war. Robert Schumann konnte kaum glauben, dass sie im Hause des großen Goethe zu Gast gewesen war und dass dieser ihr eigenhändig ein Kissen gebracht hatte, weil der Klavierstuhl für sie zu niedrig war. »Inzwischen ist er gestorben«, murmelte Robert Schumann. »Das muss zu der Zeit gewesen sein, als du in Paris warst. Ich beneide dich, dass du diesen Mann kennenlernen durftest.« Dann erzählte er von sich selbst, von den vielen Büchern, die er studiert und die ihn geformt hatten. »Jean Paul!«, sagte er begeistert. »Du musst alles lesen, was er geschrieben hat. Nach meinem Abitur bin ich mit meinem besten Freund, Rosen heißt er, nach Bayreuth gereist, wo Jean Paul bis zu seinem Tode wohnte. Wir haben seine Witwe besucht und mit ihr um ihn geweint.«
    Clara hob erstaunt den Kopf. »Sie haben um ihn geweint?«, fragte sie befremdet. »Aber Sie wussten doch bereits vorher, dass er tot war!« Dann schwieg sie. So waren sie wohl, diese Fantasiemenschen, dachte sie. Trotzdem rührte sie die Begeisterung des jungen Mannes. Sie begriff plötzlich, dass er sich im Hause Wieck wie in einer fremden Welt fühlen musste. Vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben empfand sie Mitleid, und sie hatte das Gefühl, Robert Schumann beschützen zu müssen.
    Von da an schritt sie weniger schnell aus als bisher. Immer wieder passte sie ihren Schritt dem seinen an. Trotzdem merkte sie, dass sich sein körperlicher Zustand gebessert hatte. Schonnach ein paar Wochen war er viel drahtiger als früher. Er geriet nicht mehr so leicht außer Atem, und wenn sie ihn zu Liegestützen antrieb, plumpste er nicht mehr erschöpft zu Boden, sondern hielt tapfer durch und lachte sogar, wenn ihm der Schweiß auf der Stirn stand.
    Auch Friedrich Wieck wurde immer zufriedener. Ein oder zwei Mal ließ er sich sogar zu einer Art Lob hinreißen, auch wenn er gleich darauf wieder betonte, sein Schüler habe noch einen weiten Weg vor sich, bis seine Finger endlich so kräftig waren, wie es eine Karriere als Pianist erforderte.
    Obwohl sie sich dessen nicht bewusst waren, war es eine schöne Zeit für sie alle. Längst verliefen die Gesundheitsmärsche nicht mehr schweigend,

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