Das Maedchen am Klavier
glücklich! Und er auch.
»Darf ich es aufmachen?«, fragte Robert Schumann und griff nach dem Päckchen. Dabei stieß er Christels Glas um. Das fremde, erwachsene Getränk ergoss sich über den Entwurf von Abaelard und hinterließ auch auf Claras weißem Seidenpapier einen hässlichen Fleck. Robert Schumann entschuldigte sich zerknirscht. Sie wisse ja, wie ungeschickt er immer sei.
Doch Clara hielt es auf einmal nicht mehr aus in diesem engen, niedrigen Zimmer, so ärmlich und bei aller räumlichen Nähe so weit entfernt von Clementines gepflegtem Haus in der Grimmaischen Gasse. Ohne ein weiteres Wort oder einen Gruß floh sie hinaus und sprang die Treppen hinunter – so hastig, dass sie mehrmals stolperte. Als sie auf die Gasse hinausstürmte, sah sie, dass Christel, ein paar Schritte von ihr entfernt, das Haustor beobachtete. Als sie Clara erblickte, eilte sie davon.
Mila
1
Es war schön, älter zu werden. Clara kam es vor, als ernte sie nun die Saat ihrer Kindheit. Dabei war ihr bewusst, dass sie ihr Können und ihren Erfolg zum großen Teil ihrem Vater verdankte. Das hätte sie auch nie vergessen können, denn er erinnerte sie mehrmals täglich daran. »Ohne Talent geht es nicht«, dozierte er immer wieder, auch bei seinen musikalischen Abenden in der Grimmaischen Gasse. »Doch vergessen wir nicht, liebe Freunde: Talente bedürfen der Förderung, sonst verkümmern sie oder werden womöglich nicht einmal bemerkt.« Danach wies er jedes Mal auf sein Logier’sches Institut hin und erläuterte seine Methoden, deren strahlendstes Aushängeschild seine eigene Tochter sei – »in diesen jungen Jahren eine der Größten, meine Herren, eine der Größten, und das nicht nur als Pianistin, sondern auch auf dem Gebiet der Komposition!«
Keiner der Anwesenden hätte gewagt, diese Behauptungen zu relativieren. Nur Clara selbst errötete ein wenig. Dass ihr Vater sie als Komponistin so sehr rühmte, schien ihre wahren Erfolge als Pianistin zu beeinträchtigen. »Ein Wunder am Klavier«, hatte ein Kritiker sie genannt, und sie nahm das Lob gerne an. Dabei wusste sie aber, dass sie als Komponistin noch viel zu lernen hatte. Trotzdem hatte sie das Gefühl, auf Wolken zu schweben, als der angesehene Verleger Hofmeister an Friedrich Wieck schrieb, es werde ihm eine Ehre sein, »das ›Premier Concert pour le Piano-Forte‹ des verehrten Fräulein Tochter zu veröffentlichen«.
Mit Genugtuung informierte sich Friedrich Wieck über diefinanzielle Seite des Projekts: einen Taler vier Groschen würde allein die Klavierstimme im Laden kosten, Klavier- plus Quintettstimmen zwei Taler sowie Klavier- und Orchesterstimmen gemeinsam drei Taler acht Groschen. Schon am Tag des Erscheinens dekorierte Friedrich Wieck eigenhändig eine ganze Auslage mit den Noten des »Concert« , geschmückt mit der Lithografie, die Clementines Bruder in Paris angefertigt hatte, und mit einigen besonders schmeichelhaften Plakaten ihrer Konzerte.
Es war eine gute Zeit für Clara. Sie fühlte sich anerkannt, und sie glaubte daran, dass ihr Aufstieg nun immer so weitergehen würde. Jeden Tag ein Schritt weiter nach oben, wohin auch immer das führen mochte. Wie bisher übte sie täglich, komponierte nach den Vorgaben ihres Vaters und nahm Unterricht in Englisch, Französisch, Instrumentation und Gesang. Das ständige Lernen war ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Es vermittelte ihr ein Gefühl der Pflichterfüllung und der Vervollkommnung. Heute bin ich in Ordnung, hieß das, und morgen werde ich sogar noch besser sein ... Der unscheinbare Fritze aus Pretzsch hatte das Erbe seines Aufstiegwillens erfolgreich weitergegeben.
Mit Robert Schumann traf Clara nur noch selten zusammen. Durch August erfuhr sie regelmäßig von seinen wechselnden Wohnungen, seinen Freunden, mit denen er zusammenlebte, von den jungen Frauen, die er nacheinander oder auch gleichzeitig umwarb und wieder vergaß, von den älteren, verheirateten Damen, die sich durch seine Aufmerksamkeiten geschmeichelt fühlten, und von den Davidsbündlern, mit denen er sich im »Kaffeebaum« traf und mit denen er wie in alten Zeiten gegen die Spießbürger wetterte, gegen die Philister und das Virtuosentum.
Manchmal kam er auch zu Friedrich Wiecks musikalischen Abenden. Dann präsentierte er seine neuesten Werke und stellte sie zur Diskussion. Einmal überreichte er Clara die Noten seiner »Toccata« , die sie gleich in den nächsten Tagen einstudierte und in ihr Konzertprogramm aufnahm.
Noch
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