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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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Ich habe ja auch kein Klavier hier.«
    »Dann müssen Sie eben wieder zu uns zurückkommen.«
    Er schüttelte den Kopf. »Das werde ich nicht, Clara. Ich brauche keinen Klavierunterricht mehr. Es hat ja doch keinen Sinn. Meine Hand ist nutzlos. Mir bleibt nur noch das Komponieren.«
    Clara legte die Hände auf die Mappe. »Was ist das – Abaelard?«, wiederholte sie ihre Frage.
    Er zögerte. »Eine Liebesgeschichte aus dem Mittelalter«, murmelte er dann. »Ein junger Mann liebt seine Schülerin. Als ihre Familie davon erfährt, bestraft sie ihn.«
    »Wie denn?«
    Robert Schumann errötete. »Ein andermal! Jetzt solltest du gehen. Ich werde mich bei euch melden, wenn ich wieder ganz gesund bin.«
    »Wie bestrafen sie ihn?«
    Von einem Augenblick zum anderen wurde Robert Schumann wieder so blass wie zuvor. »Das ist nichts für dich, Clara!«, erklärte er abweisend.
    »Warum nicht?«
    »Es ist – grausam.«
    »Viele Opern sind grausam. Mein Vater hat nichts dagegen, wenn ich mir das ansehe und anhöre. Es ist Kunst. Und vor allem auch Musik. Einem Künstler sollte kein Gefühl fremd sein, zumindest theoretisch nicht, sagt mein Vater.« Sie wunderte sich selbst, dass sie von Friedrich Wieck auf einmal als ihrem Vater sprach und nicht wie sonst als ihrem Papa.
    Als Robert Schumann keine Antwort gab, stand sie auf und ging zur Tür. »War das eben Christel?«, fragte sie dann plötzlich.
    Robert Schumann fuhr auf. »Woher weißt du das?«
    »August hat erzählt, Sie hätten eine Freundin, die Christel heißt.«
    Robert Schumann war wieder rot geworden. »Ja, das war Christel«, gab er zu. Dann runzelte er die Stirn und stieß hastig hervor: »Die Strafe, der sie Abaelard unterwerfen – willst du es immer noch wissen?«
    »Ja, natürlich.«
    »Er wird entmannt. Wenn du nicht weißt, was das bedeutet, kannst du ja August fragen.«
    Noch nie hatte ihn Clara so zornig gesehen. Ihr wurde bewusst, dass er sie bisher immer nachsichtig und freundlich behandelt hatte wie ein Kind, das man beschützen will. In diesem Augenblick aber hatte er den gleichen Ausdruck im Gesicht wie Friedrich Wieck, wenn Alwin nicht Geige geübt hatte. Wenn Friedrich Wieck den Knaben daraufhin schlug oder seine Geigezu Boden schmetterte, flehte Alwin inständig um Verzeihung und gab sich selbst die Schuld an der Wut des Vaters.
    Zum ersten Mal verstand Clara die Zerknirschung ihres Bruders. Auch sie bereute nun ihre Hartnäckigkeit und machte sich selbst für Robert Schumanns Zorn verantwortlich. Zugleich spürte sie, wie unglücklich er war, und er tat ihr leid. »Werden Sie bald wieder gesund, Herr Schumann«, sagte sie leise. »Und besuchen Sie uns. Vielleicht fällt Ihnen dann ein anderes Thema für Ihre Oper ein.« Sie merkte, dass auch sie nun errötete. »Sie haben recht, ich weiß wirklich nicht genau, wie das geht mit dieser Strafe. Aber ich glaube nicht, dass es das Richtige für Ihre erste Oper ist. Mein Vater würde Ihnen bestimmt abraten.« Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie immer noch die Schachtel mit den Hemdknöpfchen in der Hand hielt. Auch Robert Schumann hatte das Mitbringsel bemerkt. Clara zögerte unschlüssig. Dann legte sie die Schachtel hastig auf den Tisch, unmittelbar neben das halbleere Glas, das Christel dort abgestellt hatte.
    Die beiden Gegenstände schienen aus zwei gegensätzlichen Welten zu stammen. Clara schämte sich fast, so kindlich und brav nahm sich die zartblaue Seidenschleife auf ihrem Geschenk aus. Wie in jenem Pariser Künstlerzimmer, als keiner sie beachtete, hatte sie das Gefühl, in eine Welt einzudringen, in die sie nicht gehörte. Zumindest noch nicht. Die Kindheit habe sie übersprungen, hatte sie selbst einmal festgestellt. Und doch merkte sie, dass sie immer wieder von ihr eingeholt wurde. Am Klavier trug sie die Verantwortung einer Erwachsenen. Bei ihren Konzerten zollte man ihr den Respekt einer vollwertigen Künstlerin. Doch wenn es nicht auf Clara Wieck, die Pianistin, ankam, sondern auf Clara Wieck, den Menschen, das junge Mädchen, dann wies man sie auf einmal zurück und vertröstete sie unausgesprochen auf eine spätere Zeit, einen späteren Lebenszustand, den sie nach ihrer eigenen Meinung bereits erreicht hatte.
    Robert Schumann hatte sich wieder beruhigt. »Ich danke dir, Clara«, sagte er verlegen.
    Clara spürte, dass er nun wieder der Gleiche war wie früher,ganz früher, als sie ihn durch die Wälder und über die Wiesen geführt hatte und dabei glücklich gewesen war. So

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