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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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in der Robert Schumann lebte, wenn er sich nicht in ihrer Gegenwart aufhielt? Die Welt eines jungen Mannes jedenfalls. Die Welt eines Erwachsenen, so wie Claras Welt immer noch die eines Kindes war. Eines Kindes, das viel erlebt und gesehen hatte, das aber dennoch stets behütet worden war. Doch wovor? Was wurde anders, wenn man erwachsen war?
    Nach zwei Wochen kündigte Friedrich Wieck seine Rückkehr an. »Alles wie immer!«, bestimmte Clementine energisch. Seit ein paar Tagen fühlte sie sich wieder besser. Sie weinte nicht mehr und bemerkte es wieder, wenn einer der Dienstboten seine Pflichten vernachlässigte. »Keine Extravaganzen, wenn Herr Wieck zurückkommt«, fügte sie hinzu. »Keine Blumengirlanden und kein Rinderbraten. Ganz einfach ein ordentliches Haus, in dem alles läuft, wie es sich gehört.«
    Die Dienstboten seufzten, weil die gemütlichen Zeiten nun wohl zu Ende waren. Sogar der kleine Clemens bequemte sich dazu, in der Nacht zu schlafen und sein Schreien einzustellen, wenn sich die Amme augenrollend über ihn beugte und ihm mit dem Zeigefinger drohte. Nur er konnte hören, was sie ihm zuzischte, und obwohl er die Worte nicht verstand, spürte er doch, dass es besser war, sich zurückzunehmen.
    Man konnte aufatmen. Wenn Friedrich Wieck nach Hause kam, würde er eine junge Mutter vorfinden, die mit sich selbst im Reinen war, einen wohlgeratenen Säugling und eine Amme, deren Hände nicht mehr zitterten und zuckten. Auch die übrigen Mitglieder des Haushalts würden bereitstehen, seine Wünsche zu erfüllen und ihm nicht zu missfallen. Wie es im Inneren jedes Einzelnenaussah, interessierte ihn ja doch nicht. Nur sein Clärchen wollte er glücklich sehen oder zumindest froh und einsatzbereit.
    Doch Clara war nicht glücklich. Je näher die Heimkehr ihres Vaters rückte, umso sehnsüchtiger wünschte sie sich, endlich Klarheit über Robert Schumann zu erlangen. Immer mehr begriff sie, dass sie ihn bisher als ihren Vertrauten betrachtet hatte. Als solchen wollte sie ihn nicht verlieren.
    So beschloss sie, nicht länger zu warten, sondern ihn einfach aufzusuchen. Dabei erinnerte sie sich daran, wie sehr sie sich über seine Kirschen gefreut hatte. Aber Kirschen waren ja wohl kein Mitbringsel für einen Mann. Nach langem Überlegen kaufte sie schließlich im Kurzwarenladen auf dem Marktplatz eine Schachtel mit französischen Hemdknöpfchen, die sie in feines Seidenpapier einpackte und mit einer ihrer breiten Haarschleifen zuband – himmelblau, das hatte er einmal als besonders hübsch bezeichnet. Danach rief sie Clementine zu, sie gehe jetzt spazieren, und verließ das Haus. Zwei Stunden mindestens würde sie haben, um mit Robert Schumann zu sprechen. Zwei Stunden oder ein wenig mehr – so lange wie ihre Gesundheitsspaziergänge dauerten und damit ihre Freiheit.
3
    Als Clara auf das hohe, schmalbrüstige Haus zuschritt, in dem Glock wohnte, sah sie ihn aus dem Tor kommen. Sie blieb stehen und drückte sich an die Wand, damit er sie nicht bemerkte. Bestimmt würde er sie hindern wollen, Robert Schumann zu besuchen. Doch Clara war entschlossen, sich nicht aufhalten zu lassen. Eilig lief er an ihr vorbei und murmelte dabei etwas vor sich hin – ein magerer, übernächtigt aussehender Mann an der äußersten Grenze seiner Jugendjahre.
    Selbst ein halbes Kind wie Clara konnte erkennen, dass dieser Mensch es schwer haben musste, sich die Achtung anderer zu erwerben. Als Theologe war er bereits gescheitert. Wer würde sichnun einem Arzt anvertrauen, dem der Misserfolg schon auf die Stirn geschrieben stand? Trotzdem hatte sich Robert Schumann auf ihn verlassen, und auch Clara selbst hatte das Gefühl gehabt, der Kranke sei bei ihm gut aufgehoben. »Wie du kommst gegangen, so wirst du empfangen«, pflegte Friedrich Wieck zu dozieren, wenn sich Clara für ein Konzert zurechtmachte. Alles musste perfekt sein und dem entsprechen, was das Publikum von einem aufgehenden Bühnenstern erwartete. In gleicher Weise hatte auch ein Arzt auszusehen wie ein Arzt und nicht wie einer, der sich bei nächster Gelegenheit Geld ausleihen wollte. Clara lächelte bei dem Gedanken, dass der Student Glock, den niemand mit seinem Vornamen Christian anredete, einen Berater wie Friedrich Wieck gebraucht hätte, um als der behandelt zu werden, der er in seinem Inneren vielleicht war.
    Sie stieg die enge Treppe zum dritten Stockwerk hinauf. Auf jedem Treppenabsatz öffnete ein winziges Fenster den Blick hinunter auf die Gasse. Doch man

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