Das Mädchen Ariela
daß dies viel wirksamer wäre als zwei Monate Gefängnis mit warmer Zelle und Voll-Verpflegung. Doch darüber läßt sich rechten. Ihr Christentum verpflichtet Sie ja zur Liebe am Menschen. Allah sei Dank, daß wir so etwas nicht haben. Und so kann ich Ihnen, wenn unsere Tiere in der Wüste gestorben, in die Luft gesprengt und die Bakterien durch die Napalmbomben vernichtet sind, etwa zweihundert Verbrecher präsentieren, die die Ehre haben, ihren Tod sanft und leise durch Ihre Bakterien zu erleiden.«
»Und Sie glauben, daß ich da mitmache?« stammelte Dr. Schumann entsetzt.
»Ja. Bedenken Sie: Aufhängen ist schlimmer! Noch schrecklicher ist es, gesteinigt zu werden. Doktor – seien Sie doch vernünftig. Die Kerle werden so oder so sterben … Sie helfen ihnen sogar durch einen sanften Tod …« Suleiman klopfte Schumann auf die Schulter. Er war in bester Stimmung. »Und wenn ich die Kerle tot vor mir sehe, feiern Sie Hochzeit mit Ariela! Ist das ein Angebot, Doktor?«
Schumann würgte es im Hals. Er hatte das Gefühl, sich erbrechen zu müssen. Er ließ Suleiman stehen, ging in das Badezimmer und schloß sich ein.
Lange ließ er sich dort kaltes Wasser über Nacken und Gesicht laufen.
Später sagte er an der Trennwand: »Wir müssen hier heraus, Ariela. Es geht über meine Kräfte. Ich habe geglaubt, ich könnte es durchhalten. Es ist unmöglich!«
»Nimm das Messer …« Sie schob ihm die Klinge durch einen Durchbruch der Trennwand. Er versteckte das Messer unter seinem Hemd.
»Was soll ich damit?«
»Suleiman töten. Narriman. Mahmud. Alle!«
»Was nützt uns das? Dann kommen neue Suleimans und Narrimans. Das bringt uns nicht weiter. Es gibt nur die Möglichkeit, irgendwie von Madaba aus zu flüchten.«
»Dann tu es, Peter.«
Schumann schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht.«
»Warum?«
»Weil du zurückbleibst.«
»Nimm keine Rücksicht auf mich!« Arielas Kopf sank gegen die Mauer. Es war so schwer, jetzt das zu sagen, was sie früher mit Begeisterung gesagt hatte. »Der Staat geht vor! Du kannst Israel retten. Mein Volk! Vergiß mich, Peter … rette dich.«
»Ich bin doch nur deinetwegen hier!« schrie Schumann und schlug mit den Fäusten gegen die Wand. Eine unbändige Wut hatte ihn gepackt. Er sah, wie er in diesem Teufelskreis herumirrte und sich selbst belog, denn es gab keinen Ausweg mehr. »Ich kann doch nicht fortlaufen ohne dich! Ariela! Ich kann dich doch nicht hier lassen!«
»Gib mir das Messer wieder«, sagte sie leise.
Schumann überlief es eiskalt. »Nein«, erwiderte er. »Nein, du bekommst es nicht wieder. Jetzt nicht mehr. Ich weiß, was du tun willst …«
»Ich will dich frei machen, Peter.«
»Nein!« Er schlug wieder gegen die Mauer, voller Verzweiflung. »Nein! Nein! Wie kannst du so etwas sagen? O Gott! Wie kannst du so etwas tun, Ariela?« Dann stand er regungslos an der Wand und fühlte ihre Hände, die durch die Trennwand nach ihm tasteten. »Entschuldige«, sagte er leise. »Die Nerven haben mich verlassen. Ich habe mich dumm benommen. Es ist ja alles Wahnsinn, was wir sagen. Wir müssen warten … stark sein … mit der Zeit spielen … warten … Vielleicht rollen die politischen Ereignisse über uns hinweg. Vielleicht schickt der Himmel ein Wunder …«
»Du glaubst an deinen Gott?« fragte Ariela.
»Jetzt ja.« Schumann schloß die Augen. »Ich möchte manchmal beten, wie damals als Kind … Vater unser, der du bist im Himmel …«
Seine Stimme brach. Er ging schnell in sein Schlafzimmer.
Später kniete er vor der Mauer und schabte mit dem Messer die Mauerstärke des Durchbruchs schmaler. Den Mörtel- und Steinstaub fing er auf dem Boden mit einem Hemd auf. Ab und zu trug er alles ins Bad und spülte den Staub fort.
Drei Stunden schabte Schumann an der Mauer. Dann war der Durchbruch so viel größer geworden, daß sich ihre Lippen berühren konnten.
Sie küßten sich und konnten es gar nicht fassen, daß ihre Lippen aufeinanderlagen und der Strom ihrer Sehnsucht hinüberfließen konnte. Über den Garten wehte ein starker Wind. Die Ölbäume bogen sich. Die Säulenzypressen rauschten.
Vor dem Haus, unter einer breiten Sykomore, stand Major Rishon und sah auf das dunkle Gebäude.
Eine hohe Mauer. Fensterlose Wände.
Eine Burg.
Ich muß sie stürmen, dachte er. Ich werde sie stürmen.
Gott, laß mich mutig sein wie David und listig wie Odysseus.
Wie sagte einmal ein deutscher König?
Werft das Herz hinüber – der Kerl kommt von
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