Das Mädchen Ariela
durch die Hashimi-Straße wälzte. Gemächlich gingen sie bis zur Brücke, überquerten den Fluß und setzten sich wie müde Wanderer in die Ruinen des Römischen Theaters. Sie beobachteten eine Gruppe Franzosen, die den drei Stockwerke hohen Bau mit seinen viertausend Sitzplätzen bewunderten und wissen wollten, ob unten im Sand des Manegenrunds auch Christen von Löwen zerrissen worden seien. Der staatliche Fremdenführer bejahte es, obgleich es darüber keine Überlieferungen gibt.
Eine junge, hübsche Französin gab Rishon, der auf einem Säulenrest hockte, sogar fünf Piaster, weil er so schrecklich elend und staubig aussah und ganz den Eindruck machte, als ernähre ihn das Betteln nur dürftig.
»Oh, danke, Madame«, sagte Rishon auf arabisch. Von diesem Augenblick an wußte er, daß seine Verkleidung perfekt war.
So saßen die fünf etwa eine Stunde in den Ruinen, als ein Mann erschien, der fröhlich ein Stöckchen durch die Luft wirbelte. Er war europäisch gekleidet, trug einen Strohhut und ein schmales Bärtchen unter der Nase. An seiner rechten Hand funkelten zwei Brillantringe.
Rishon erhob sich und trat auf den Mann zu.
»Was kostet Ihr Stöckchen, Sir?« fragte er auf englisch.
»Fünfhundert Pfund.«
»Sofort.« Rishon griff unter seinen Burnus und zog ein flaches Paket aus dem Gürtel. »Zählen Sie nach.«
»Nicht nötig.« Der Mann mit dem Bärtchen steckte das Päckchen in die Tasche seines hellen Anzugs. »Die Söhne der Wüste sind ehrlich! Gelobt sei Allah!«
»Lassen Sie den Blödsinn«, zischte Rishon. »Ist Haphet schon da?«
»Nein, die Maschine landet gegen sieben Uhr abends.«
»Wird nicht auffallen, daß es plötzlich zehn Mann mehr sind?«
»Überhaupt nicht. Sie wohnen im Kupferschmiedeviertel neben einer Karawanserei. Da geht es raus und rein, Tag und Nacht.«
Rishon, der schon ein paar Schritte gegangen war, blieb ruckartig stehen. »Aber doch Hauptmann Haphet mit seinen Leuten nicht! Sie kommen als französische Handelsreisende.«
»Die wohnen im Hotel Amman-Club in der Salt-Straße.«
»Wenn das schiefgeht … ich werde Sie erschießen, Mohammed!«
Der freundliche Herr mit dem Stöckchen, Kontaktmann des israelischen Geheimdienstes in Amman, lächelte. »Es geht nicht schief, Major. Dafür liebe ich viel zu sehr gutes Essen, Kaffee und schöne Frauen.«
Hintereinander, in weiten Abständen, aber immer so, daß sie sich nicht aus den Augen verloren, wanderten kurz danach die fünf staubigen Beduinen in die Altstadt am Dschebel El Qalaa.
Hier verschwanden sie in dem Gewühl der engen Gassen und Bogengänge, der Bazare und Läden, Werkstätten und ineinandergeschachtelten Häuser.
Um Mitternacht trafen sich alle wieder.
Sie hatten sich den unverfänglichsten Ort ausgesucht, den es in Amman gab: die Hotelbar des luxuriösen Al-Urdun-Hotels, draußen auf dem Dschebel Amman, außerhalb der Stadt. Die fünf ›Franzosen‹ trugen weiße Smokings, die fünf ›Araber‹ kamen in seidenen Dschellabahs, bestickt und mit goldenen Gürteln zusammengehalten.
Sie begrüßten sich förmlich, tranken ein Glas … die ›Araber‹ als Strenggläubige ein Glas Mangosaft, die ›Franzosen‹ Pernod mit viel Wasser. Dann gingen sie, die Nachtkühle und den Sternenhimmel genießend, in den Garten und setzten sich auf die Stühle an den Rand des großen Swimming-pools. Auch der lustige Mohammed mit dem Bärtchen unter der Nase war wieder da. Um ihn scharten sich die anderen.
»Die neuesten Nachrichten«, begann Mohammed, »gestern fand bei Minister Suleiman ein Sommerfest statt. Dabei wurde ein Oberst Kemal vergiftet. Mit einer Tasse Kaffee.«
»Was geht das uns an?« fragte Rishon grob. »Haben Sie etwas von Ariela Golan gehört?«
»Suleiman ist – wenn Ihre Vermutungen stimmen, Major – der Dienstherr Doktor Schumanns. Er leitet die Forschung. Ich könnte mir denken, daß Schumann auf dem Fest war, als Kemal vergiftet wurde. Wenn ja, dann wird er – denken wir logisch – auch beim Begräbnis dabei sein. Ich kenne Doktor Schumann nicht, aber Sie, Major. So könnte man seine Spur aufnehmen.«
»Sie haben recht.« Rishon erhob sich, ganz wie ein würdevoller jordanischer Kaufmann. »Meine Herren, beweinen wir Oberst Kemal. Wann ist das Begräbnis?«
»Morgen um elf. Auf dem Heldenfriedhof. Es heißt offiziell, er sei am Jordan von israelischen Scharfschützen beschossen und getötet worden.«
Rishon schlug den seidenen Mantel um sich. Darunter trug er zwei wichtige Dinge:
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