Das Mädchen aus dem Meer: Roman
pure Magie. Ich war noch jung und anfällig für solche Albernheiten, und in diesen Minuten war ich wie verzaubert.
Sora schloss die Augen, um nur noch die Musik zu fühlen, und vielleicht auch das Wasser und die Wärme der Abendsonne auf der Haut, und ich tat es ihm gleich.
Darum bemerkten wir den Knallfischer nicht. Und er bemerkte uns nicht – schließlich ragten kaum mehr als unsere blonden Schöpfe aus dem Wasser, und das auch noch vor der farbenfrohen Kulisse, die das Riff bot.
Plötzlich ertönte ein Donnern, als zerspränge ganz Hohenheim in Millionen und Abermillionen winzige Teile, und zwar direkt neben mir. Dabei war Hohenheim Hunderte von Schritten entfernt – weil die Korallen uns Deckung boten, befanden wir uns sogar außer Sichtweite der Fernschauer. Allein der Schall dieses grausamen Lärms schien alle meine Knochen zerschmettern zu wollen, den Schädel allen anderen voran, und dann …
Tja. Dann geschahen ziemlich viele Dinge, von denen ich erst viel später erfuhr, denn ich verlor auf der Stelle das Bewusstsein. Sora sagt, ich sei um ein Haar ertrunken. Es war der Fischer, der uns beiden das Leben rettete – der gleiche, der uns um ein Haar getötet hätte. Er zog uns aus dem Wasser, lud uns auf sein Boot und brachte uns nach Hohenheim zurück, nachdem er die Kennzeichnungen in unseren Nacken erkannt hatte. Er musste einen riesigen Umweg fahren, um den Anleger zu erreichen, ohne auf Verdacht erschossen zu werden, und erst am Anleger erlangte ich mein Bewusstsein zurück – wenn auch nur halb.
Kennzeichnungen?
Warte – ich zeige es dir. Hier: Siehst du dieses Symbol? Es ist in meine Haut gebrannt. Jeder, der es sieht, weiß, wer ich bin. Außer dir und deinesgleichen natürlich …
Als ich die Augen wieder öffnete, erschien mir alles unwirklich und verschwommen, von überall her stürmten Krieger und Händler auf uns zu. Ich erkannte das Gesicht des Schriftführers, in dem ich noch nie so viel Schrecken und Erregung gesehen hatte wie in diesem Moment. Ich sah, dass Sora aus einem Ohr blutete, und ich nahm wahr, wie man mich auf einen Transportkarren hob und zusammen mit dem Schriftführer, mehreren Kriegern, meinem Bruder und einem Fremden, von dem ich später erfuhr, dass er der Knallfischer war, zum Palast gebracht wurde.
Der Schriftführer redete abwechselnd auf meinen Bruder, mich und den Fischer ein, aber ich konnte ihn nicht verstehen. Ein monotones Pfeifen, das nur ich hören konnte, übertönte seine Worte und auch alle anderen Geräusche, die dumpf darunter lagen. Die Pferde, die den Karren zogen, galoppierten und schnauften. Schaum spritzte aus ihren Mäulern, so sehr beanspruchte der Karrenlenker ihre Kräfte. Und trotzdem kamen mir die wenigen hundert Schritte zu den Klippen, und vor allem der steile Weg hinauf, vor wie eine ganze Tagesreise. Dort, wo ich etwas fühlte, fühlte ich mich schlecht. So schlecht wie nie zuvor …
Was ist ein Knallfischer?
Ein Fischer wie du. Nur dass er mit effektiveren Mitteln jagt. Du wirfst dein Netz aus und geduldest dich, bis sich genug Fische darin verfangen haben. Das ist eine gute Methode, aber nicht die beste. Knallfischer werfen einen Beutel voller Pulver über Bord, der mit einem mächtigen Knall explodiert, sobald er mit dem Wasser in Berührung kommt. Daher der Name. Die Fische erschrecken sich buchstäblich zu Tode. Er muss sie nur noch mit einem Köcher oder einem großen Netz einsammeln, sobald sie kurz nach dem Knall an die Oberfläche treiben.
Eigentlich ist diese Art des Fischfangs nur auf hoher See erlaubt. Manis legen ab und kehren am Abend mit halben Jahresvorräten von Fisch zurück, der geräuchert oder eingelegt wird. Aber an den Markttagen streunt immer der eine oder andere Gauner herum, der gestohlenes oder selbst hergestelltes Knallpulver illegal an kleine Fischer vertreibt, die allein schon deswegen nicht auf hoher See fischen können, weil ihre Boote dazu nicht geeignet sind. Vielleicht wollen sie sich auch nur den zeitlichen Aufwand sparen. Knallfischerei an der Küste ist nicht gestattet, wird aber in aller Regel geduldet. Bis dahin ist ja auch noch niemand zu Schaden kommen. Zumindest nicht, soweit wir wussten.
Hat dein Vater ihn belohnt?
Belohnt? Wofür?
Er hat euch nach Hause gebracht und dabei riskiert, von euren Wachen getötet zu werden. Er hätte auch einfach verschwinden und euch eurem Schicksal überlassen können. Niemand hat gesehen, was geschehen ist. Nicht einmal ihr selbst.
Ein Reiter war dem
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