Das Mädchen aus Mantua
waren die Bertolucci eben. Hinterhältigkeit war ihre zweite Natur.
Timoteo platzte mit seinem Ärger heraus. »Verbannung hin oder her – bei der nächsten Gelegenheit zahle ich es Gentile Bertolucci heim!«
Galeazzo warf ihm einen Blick von der Seite zu. »Weil er mich erwürgen wollte? Sei versichert, das habe ich ihm schon selbst heimgezahlt, und mein Griff war härter als seiner. Sein Kehlkopf wird ihm auch in ein paar Wochen noch das Gefühl geben, eine fette Kröte im Hals sitzen zu haben!«
»Ich habe ihn ebenfalls ziemlich heftig erwischt«, sagte William zufrieden. »Seine Nase hat unter meiner Faust sehr laut geknackt.«
»Das ist ja gut und schön«, sagte Timoteo barsch. »Trotzdem wird er den Schlag auf meinen Kopf noch sehr bereuen.«
»Oh.« Galeazzo grinste. »Das kannst du ja nicht wissen, weil du ohnmächtig warst. Aber ich erzähle es dir mit Freuden. Nicht er hat dich niedergeschlagen. Die junge Dame aus der Kutsche hat den Knüppel gegen dich geschwungen.«
»Das Mädchen aus Mantua?«, fragte Timoteo ungläubig. »Dieses kleine dünne Ding? Bist du sicher?«
Galeazzo nickte und blieb stehen. Sie hatten das Hospizium erreicht, in dem er und William wohnten. »Sie meinte, es sei zu deinem Besten gewesen. Und ich hörte sie zu Gentile Bertolucci sagen, sie habe es nicht seinetwegen getan, sondern um dich davor zu bewahren, zum Mörder zu werden.«
»Das finde ich vernünftig von ihr«, erklärte William.
»Nun ja, eine kleine Einschränkung will ich nicht unerwähnt lassen«, sagte Galeazzo. »Sie und ihre wirklich reizende Stiefschwester Arcangela besuchen ihre Verwandten hier in Padua. Die Bertolucci. Lodovico Bertolucci ist ihr Onkel.«
Timoteo fehlten die Worte. Erst, nachdem Galeazzo und William im Studentenwohnheim verschwunden waren, hatte er sich so weit gesammelt, dass er seinem Zorn auf gebührende Weise Ausdruck verleihen konnte: Er trat hart gegen die nächstbeste Mauer. Dummerweise mit dem falschen Fuß. Das versehrte rechte Bein brannte auf dem ganzen restlichen Nachhauseweg wie Höllenfeuer.
Das Haus der Caliari befand sich nur einen Steinwurf vom Botanischen Garten entfernt. An schönen Tagen ging Timoteo auf dem Weg zur Universität gern auf einen kurzen Abstecher dorthin, um die exotischen Pflanzen zu betrachten. Die meisten davon erschienen ihm wegen ihrer Fremdartigkeit bemerkenswert, und oft fragte er sich beim Anblick eines dieser sonderbar gefärbten oder gefiederten Gewächse, wie es wohl in jenem Teil der Welt aussehen mochte, aus dem es stammte. Manche dieser seltsamen Bäume oder Sträucher waren so empfindlich, dass sie nur in eigens dafür aufgestellten Glashäusern gediehen. Botaniker hatten sie von ihren Reisen aus tropischen Gefilden mitgebracht, oft als kleine Ableger, herangezüchtet in Kisten und sorgsam vor Wind und Wetter geschützt, in der Hoffnung, sie könnten in Europa Wurzeln schlagen. Sofern ein solches Unterfangen überhaupt glückte, dann in Padua, wo sich die fähigsten Gärtner der Republik um die Pflanzen bemühten, in einem Garten, der seinesgleichen noch nicht gefunden hatte. Jedenfalls hörte man das allenthalben, und Timoteo sah keinen Anlass, daran zu zweifeln.
Gelegentlich kam ihm auch in den Sinn, dass zwischen der Universität und dem Botanischen Garten erstaunliche Parallelen bestanden, und das nicht etwa nur, weil über die zahlreichen dort wachsenden Heilkräuter regelmäßig Vorlesungen in ärztlicher Pflanzenkunde gehalten wurden. Die Ähnlichkeit zwischen Garten und Alma Mater lag vielmehr hauptsächlich darin begründet, dass sich in beidem so viel Fremdes fand. In der Botanik die vielen exotischen Pflanzen aus nur teilweise erforschten Gegenden jenseits der großen Ozeane, und in der Universität die Studenten aus aller Herren Länder. Sie kamen von überallher und bildeten innerhalb ihrer Fakultäten eigenständige Nationes , von denen es Dutzende gab. Wer etwas gelten wollte, studierte in Padua. Und versäumte dabei nicht, an den zahlreichen Freizeitvergnügungen teilzunehmen, zu denen unbedingt ein Besuch des Botanischen Gartens gehörte.
Was an diesem Tag selbstverständlich nicht im Entferntesten infrage kam. Timoteos Bemühungen, sich mit bedeutungslosen Gedanken an Gärten und Studenten von seinen Schmerzen und seiner sonstigen Misere abzulenken, endeten jäh, als er die Stimme seines Bruders hörte. Hieronimo stand mit verkniffener Miene vor dem Haus und schaute ihm entgegen. Er hatte an dem Kampf teilgenommen,
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