Das Mädchen aus Mantua
Zukunft Böses ahnen.«
»Das ist ja schrecklich«, sagte Arcangela betroffen. »Dieser Gentile Bertolucci – er hat doch nichts mit unserem Onkel Lodovico Bertolucci zu tun, zu dessen Haus Ihr uns gerade führt?«
»Aber ja doch. Die beiden sind Brüder.« Ächzend zog er den Karren um die nächste Ecke. »Und da drüben wohnen sie.«
Das Haus sah ganz harmlos aus, sogar regelrecht einladend. Es war ein ansehnlicher, zweieinhalbgeschossiger Stadtpalast, der vor vielleicht fünf Jahrzehnten erbaut worden war. Kutschenhaus und Stallungen befanden sich als Anbauten ein wenig versetzt daneben. Mit hellem Sandsteinputz, in der Sonne leuchtenden Butzenfenstern und eleganten kleinen Balkonen strahlte das Gebäude Wohlstand und Sicherheit aus. Eine angrenzende mannshohe Mauer schirmte einen Garten zur Gasse hin ab. Baumwipfel lugten hinter der Mauerkrone hervor, und an der seitlichen Fassade des Hauses wuchsen blühende Ranken in die Höhe.
»Das ist hübsch«, sagte Arcangela erleichtert. Der Anblick des Hauses schien sie für die möglicherweise mörderische Veranlagung der gastgebenden Verwandtschaft zu entschädigen. Ihr Blick tat kund, was auch Celestina durch den Sinn ging: Jemand, der ein so freundlich wirkendes Anwesen sein Eigen nannte, konnte nicht von durch und durch schlechtem Charakter sein.
»Geschafft«, sagte Manzini, während er keuchend stehen blieb.
»Niemand hätte den Karren so zügig und kraftvoll ziehen können wie Ihr«, sagte Arcangela bewundernd, und Celestina fragte sich wieder einmal, wie ihre Stiefschwester es schaffte, dass es derart ehrlich klang. Vielleicht, so überlegte sie, meinte Arcangela es ja wirklich so. Das wäre zumindest eine plausible Erklärung, dass keiner der vielen Männer, mit denen sie schäkerte, je an ihrer Aufrichtigkeit zweifelte.
Ein junges Mädchen mit hellblonden Haaren öffnete ihr. Für eine Dienstmagd war sie zu fein angezogen, mit Seidenkleid und Rüschenhaube. Offensichtlich war sie im Begriff auszugehen. Ein männlicher Begleiter tauchte hinter ihr auf, flachsblond wie das Mädchen und genauso hübsch, auch er höchst edel gekleidet.
»Gott zum Gruße«, sagte Celestina.
Das Mädchen verzog das Gesicht. »Es ist verboten, an den Haustüren zu betteln!«
Celestina blickte an sich hinab. Am Mittag hatte das Kleid noch ordentlich ausgesehen. Jetzt war es schmutzig, zerknittert und reichlich mit Blutflecken besudelt. Als sie sich über den Toten gebeugt hatte, war sie wie üblich nicht sonderlich vorsichtig gewesen.
»Das ist ein Missverständnis«, sagte sie.
Hinter ihr baute sich Arcangela auf, eine der kleineren Truhen in den Armen. »Wir sind es«, sagte sie.
»Wer genau ist wir ?«, erkundigte sich der junge Mann.
»Die Cousinen aus Mantua«, sagte Celestina.
»Oh«, sagte das junge Mädchen, dem soeben ein Licht aufging. »Mama sprach davon. Seid ihr etwa …«
»Ich bin Celestina, und das ist Arcangela. Und ihr zwei seid sicher Chiara und Guido. Ich hoffe, wir kommen nicht zu unpassender Zeit.«
Chiara musterte stirnrunzelnd das befleckte Kleid, bevor sie Arcangelas ebenfalls ziemlich zerzauste Erscheinung betrachtete. »Willkommen«, sagte sie langsam und nicht allzu enthusiastisch. »Gab es auf der Reise … Probleme?«
»Wir hatten einen kleinen Unfall auf der Piazza delle Erbe«, erklärte Celestina. »Aber es ging alles gut aus.«
»Wart ihr beiden in der umgestürzten Kutsche?«, fragte der junge Mann neugierig. Guido Bertolucci war vielleicht zwei oder drei Jahre älter als seine Schwester, also um die zwanzig und damit im selben Alter wie Celestina und Arcangela. Celestina erinnerte sich, ihn ebenfalls auf der Piazza gesehen zu haben.
Sie nickte. »Du warst auch dort.«
Er zog die Schultern hoch. »Es ließ sich nicht vermeiden.«
Jetzt sah Celestina auch die aufgeschürften Fingerknöchel. Offenbar hatte er ordentlich ausgeteilt. Und auch eingesteckt: Unter seinem rechten Auge wuchs ein Veilchen heran.
»Besteht die Möglichkeit, dass wir hineingebeten werden?«, meldete sich Arcangela.
Guido besann sich auf seine Manieren. Hastig riss er die Tür auf und begann, mithilfe des Wachmanns die Reisekisten ins Haus zu tragen.
»Hatte ich mich eigentlich schon vorgestellt?«, wandte Manzini sich mit werbendem Lächeln an Arcangela.
»Capitano Manzini, wenn mich nicht alles täuscht.«
»Oh. Ja, das stimmt. Vitale Manzini.«
»Mein Name ist Arcangela.«
»Ich weiß.« Er errötete. »Ich hörte es eben.«
Er ließ es sich
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