Das Mädchen aus Mantua
war aber sofort verschwunden, als Gradenigo in die Luft geschossen hatte. Die Ansprache des Ratspräsidenten hatte er daher nicht mehr mitbekommen und brannte nun sichtlich darauf, Timoteos Bericht zu hören.
Timoteo rieb sich das rechte Bein und folgte Hieronimo ins Haus, während er darüber nachdachte, wie er mit möglichst schonenden Worten seine Familie von der drohenden Verbannung in Kenntnis setzen konnte.
Sein Bruder betrat den Wohnraum, wo der Vater darauf wartete, in allen blutigen Einzelheiten von der Schlägerei zu erfahren. Je härter es die Bertolucci getroffen hätte, desto besser würde es ihm gefallen.
Alberto Caliari saß in dem Rollstuhl, den Hieronimo für ihn hatte zimmern lassen. Er ermöglichte es ihm, sich ohne fremde Hilfe im Erdgeschoss frei zu bewegen und über eine eigens gebaute Rampe auch in den Garten hinauszurollen. Vorher hatte er sich mühsam mit Krücken fortbewegt, von einem Sessel zum anderen, und das hatte in den letzten Jahren häufiger zu Stürzen geführt. Alberto Caliari wurde nicht jünger, dafür aber immer eigensinniger, und jedes Mal, wenn er fiel, erzitterte das Haus von seinem Wutgebrüll.
»Berichte!«, sagte er zu Timoteo. Nur dieses eine Wort.
»Zwei der Bertolucci-Anhänger werden diesen Tag nicht überleben«, sagte Timoteo. »Und Galeazzo gelang es beinahe, Gentile Bertolucci zu erwürgen.«
Er hatte mit Bedacht zuerst die Nachricht erzählt, die seinem Vater gefallen würde. Dann würde ihn der Rest vielleicht nicht so hart treffen, obwohl Timoteo das stark bezweifelte. Präsident Gradenigo war kein Mann der leeren Worte. Was immer er in Aussicht stellte, würde er verwirklichen, daran zweifelte Timoteo keinen Moment. Schon mancher hatte sein Leben gelassen, weil er sich Gradenigos Unmut zugezogen hatte, und von mindestens zwei Edelmännern war bekannt, dass er persönlich für ihre Verbannung gesorgt hatte. Beide führten den Verlautbarungen nach irgendwo auf Sizilien ein unwürdiges Leben in irgendeinem primitiven Dorf, aller Besitztümer und Titel beraubt. Sollten sie je wieder wagen, einen Fuß auf den Boden der Republik zu setzen, würde man sie am nächsten Baum aufknüpfen und dort zur Abschreckung hängen lassen, bis ihnen das Fleisch von den Knochen faulte. Nicht einmal die Ehre des Richtschwerts würde ihnen zuteilwerden.
An einer Verbannung würden sowohl sein Vater als auch sein Bruder zugrunde gehen. Beide hingen mit ganzem Herzen an ihren Ländereien, mochten diese seit etlichen Jahren auch nur noch das Nötigste abwerfen, um der Familie ein standesgemäßes Leben zu ermöglichen. Vor allem Hieronimo war förmlich verwachsen mit der Scholle, es verging kein Tag, an dem er nicht hinausritt und auf den Pachthöfen nach dem Rechten schaute. Wo es nur ging, packte er mit an, reparierte Dächer, schirrte Ochsen vor Pflugscharen, half bei der Olivenernte. Ihm das Land wegzunehmen, das seit Generationen den Caliari gehörte, wäre gleichbedeutend mit vollständiger Vernichtung.
Fraglich war nur, ob diese Einsicht ihm half, seinen Hass auf die Bertolucci zu zügeln. Von diesem Hass hatte er deutlich mehr aufzubieten als Timoteo, was schon einiges heißen wollte, da Timoteo oft meinte, selbst förmlich davon bersten zu können. Im Gegensatz zu Timoteo konnte Hieronimo sich noch sehr gut an ihrer beider Mutter erinnern. Bei ihrem Tod war Timoteo erst drei Jahre alt gewesen, Hieronimo dagegen bereits zehn. Seitdem war kein Tag vergangen, an dem ihr Vater ihnen nicht klargemacht hatte, wer für den Tod der Mutter verantwortlich war.
»Hast du die Sprache verloren?«, fragte Alberto Caliari ungeduldig mitten in seine Gedanken hinein. »Ich will wissen, wer die Männer der Bertolucci tötete!«
»Keine Ahnung. Irgendwelche Scholaren, die ich nicht kenne.«
»Und kennst du wenigstens die Toten?«
»Das konnte ich in der Eile nicht mehr herausfinden. Gradenigo hat uns alle zusammengestaucht und dann befohlen, dass wir verschwinden. Er hat die Büttel ausschwärmen lassen, also haben wir die Beine in die Hand genommen.«
Alberto Caliari verzog unwillig das Gesicht. »Der alte Schweinehund. Warum muss er sich immer einmischen?«
»Er hat die Macht dazu«, gab Timoteo vorsichtig zu bedenken.
Hieronimo, der an der Wand lehnte, hatte mit unbewegter Miene zugehört. »Und jetzt erzähl den Rest.«
»Ähm … wie?«
»Ich sehe dir doch an der Nasenspitze an, dass du dir die schlechte Nachricht bis zum Schluss aufheben willst.«
»Du hättest eben nicht
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