Das Mädchen aus Mantua
bis zur Überzeugung aller Zuhörer feststehen musste, dass die Bertolucci und die Caliari vor keinem Verbrechen zurückschreckten, sofern es nur dazu taugte, ihre unsägliche Feindschaft zu festigen.
Celestina hörte gebannt zu, versäumte dabei aber nicht, die Umstehenden zu betrachten, um zu sehen, wie die Standpauke aufgenommen wurde. Die meisten der Angesprochenen standen mit demütig gesenktem Haupt da und bemühten sich redlich um einen reuigen Gesichtsausdruck, doch einige hatten den Kopf auch trotzig erhoben und versuchten gar nicht erst, einsichtsvoll zu wirken.
Zu Letzteren gehörte eindeutig Timoteo Caliari. Er schaute unbewegt geradeaus, als ginge ihn das alles nichts an.
Sein Pech war, dass es nicht nur Celestina auffiel.
»Ich rede auch und vor allem mit Euch , Timoteo Caliari!«, donnerte der Amtsträger. »Die Geduld des Rats ist nicht unerschöpflich! Ihr fallt nicht das erste Mal unliebsam auf! Zu viele Raufhändel finden unter Eurer Beteiligung statt! Das Wohlwollen, das ihr mit Eurem kämpferischen Einsatz im Dienste der Republik verdient habt, ist längst aufgezehrt!« Er machte eine bedeutungsvolle Pause und fuhr dann mit schneidender Stimme fort: »Beim nächsten Zwischenfall, und sei er noch so unbedeutend, ist Euch die Verbannung gewiss, Caliari. Und damit meine ich keineswegs bloß Euch, sondern alle Caliari! Euren Vater, Euren Bruder, Eure Tante – die ganze Sippschaft! Und jeden anderen, der sich öffentlich zu Euch bekennt! Ich schwöre es hier vor allen, beim Grab des heiligen Antonius: Ihr und die Euren werdet bis zum letzten Atemzug vom Boden der Serenissima verbannt werden!«
Absolutes Schweigen senkte sich über das weite Rund der Piazza. Verbannung war unter allen denkbaren Strafen für die Bürger der Dogenrepublik eine der schlimmsten. Für viele war sie sogar schlimmer als der Tod.
Der Amtsträger wartete einige Augenblicke, bis jeder der Umstehenden die Bedeutung seiner Worte verstanden hatte, und tatsächlich schien sogar Timoteo Caliari zu begreifen, was ihm drohte, denn er war sichtlich erblasst und blickte zu Boden. Die Pistole hatte er längst weggesteckt.
»O je, das klingt gar nicht gut«, hörte Celestina hinter sich Galeazzo murmeln, der sich aus unerfindlichen Gründen immer noch bei der umgestürzten Kutsche aufhielt.
»Wer ist das?«, fragte sie ihn leise.
»Ihr meint den Herrn, der geschossen hat und nun die schrecklichste Strafpredigt aller Zeiten hält? Das ist Messèr Gradenigo, oberster Ratspräsident von Padua. Seine Stimme im Senat hat höchstes Gewicht. Wenn er Verbannung androht, sind das keine leeren Worte.«
»Was ist der Grund für diese Fehde zwischen den beiden Sippen?«
»Das weiß niemand so recht«, behauptete Galeazzo. Sein jungenhaftes Gesicht unter dem rostroten Haarschopf wirkte aufrichtig, doch Celestina glaubte ihm kein Wort.
Abrupt wechselte sie das Thema. »Vorhin fiel der Name Fabrizio. Meintet Ihr damit Girolamo Fabrizio?«
»Girolamo Fabrizio d’Acquapendente, so lautet sein voller Name. Unser Professor. Wir studieren bei ihm, Timoteo und ich. Und William Harvey, das ist der englische Junge, den dieser unselige Bertolucci vorhin niederschlagen wollte.«
Celestina starrte ihn an. »Ihr meint, Ihr studiert Medizin ? Ihr und Euer Freund Timoteo Caliari? An der Universität von Padua?«
Galeazzo zuckte die Achseln. »Nun ja, das tun wir. Seit über zwei Jahren bereits. Ganz ehrbar und fleißig. Wenn möglich, wollen wir noch dieses Jahr promovieren. Prügeln tun wir uns nur höchst selten. Jedenfalls bei Weitem nicht so oft, wie wir Vorlesungen besuchen. Warum fragt Ihr danach?«
»Ach, es war nur beiläufiges Interesse, ich meinte bloß, den Namen schon einmal gehört zu haben.«
»Den von Professor Fabrizio? Ja, er ist sehr berühmt, beinahe wie der große Vesalius.«
»Und so befehle ich allen, die sich hier geschlagen haben, augenblicklich diesen Platz zu räumen und mir möglichst lange nicht unter die Augen zu kommen!«, schloss Ratspräsident Gradenigo. Seine Stimme klang kaum weniger zornig als zu Beginn seiner Rede. Die Ordnungshüter schwärmten mit drohend gereckten Spießen aus, worauf alle noch in Reichweite befindlichen Kampfhähne eilends das Weite suchten. Nur die Verwundeten blieben an Ort und Stelle.
Galeazzo warf ein werbendes Lächeln in Arcangelas Richtung, während er sich bereits rückwärtsgehend entfernte. »Ich fürchte, es wird heute nichts mehr daraus, dass ich Euch aus dieser Kutsche helfe,
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