Das Mädchen, das nicht weinen durfte
seinem Gesundheitscheck kam ich früher nach Hause als sonst, weil ich ihn nicht allein lassen wollte. Ich schlief
in meinem Zimmer und wachte auf, weil er plötzlich die Tür aufriss und vor mir zusammenbrach. Ich sprang auf und rannte zu ihm, er lag auf dem Rücken auf dem Boden und japste nach Luft. Ich geriet in Panik, rief einen Rettungswagen und als der Notarzt seinen Blutdruck gemessen hatte, war der besorgniserregend hoch. Erst als wir im Krankenhaus ankamen und im Zimmer auf einen Arzt warteten, war Papa wieder ansprechbar. Nach einiger Zeit kam eine Ärztin verschlafen herein. »Beim nächsten Mal nehmen Sie sich bitte ein Taxi, denn so ein Krankenwageneinsatz ist sehr teuer und wirklich nur in Notfällen zu rufen«, sagte sie muffig zu uns.
Ein paar Tage später wurde er entlassen und erst einige Monate danach in England, nachdem er erneut einen Zusammenbruch erlitt, stellte man fest, dass seine Nieren völlig funktionslos waren und sein Blut nicht mehr reinigen konnten.
Während seines Aufenthalts in der Klinik in Bonn hatte mein Vater einen Bettnachbarn gehabt, dem er sein Herz ausschüttete. Er erzählte ihm, dass er besorgt um mich sei, weil ich noch keinen festen Job hatte, aber darauf bestehen würde, in Deutschland zurückzubleiben. Der Mann hatte eine Tochter, die in einer Arztpraxis arbeitete, und er schlug vor, dass ich mich auch dort bewerben sollte, was ich tat. Tatsächlich wurde ich zum Vorstellungsgespräch eingeladen und bekam die Zusage zur Ausbildung als Arzthelferin. Die Lehre sollte in ein paar Monaten beginnen und jetzt konnte wohl wirklich nichts mehr schiefgehen, denn die letzten Zweifel meines Vaters waren ausgeräumt.
11.
ALLEIN IN DEUTSCHLAND
Papa reiste wieder ab und damit war es endgültig: Meine Familie war weg. Und von diesem Tag an war ich ganz auf mich allein gestellt, im Alter von nicht einmal 17 Jahren. Das Kuriose an der ganzen Sache war, dass ich überhaupt keine Angst davor hatte, weil ich spürte, dass ich schon irgendwie klarkommen würde.
Mein aktuell größtes Problem war, dass ich innerhalb der nächsten Tage aus der Wohnung meiner Eltern ausziehen musste und ich mich bis dahin überhaupt noch nicht um eine neue bemüht hatte. Ich fuhr mit der Bahn nach Bad Godesberg zu Herrn Reimann, dem Vermieter vom Flüchtlingsheim, in dem wir vor unserem Umzug gewohnt hatten. Ich hoffte, dass er mich irgendwie wieder bei sich aufnehmen konnte, und wusste, dass er nachmittags immer dort zu finden war, weil er in seiner Garage arbeitete. Ich traf ihn auch an und erzählte ihm, dass ich ein Zimmer bräuchte, egal welches, und dass ich für die Miete selbst aufkommen könnte, weil ich Nebenjobs hatte und eine Ausbildung anfangen würde. Während er mir zuhörte, lief er in der Garage hin und her und arbeitete weiter. Seine Stirn war in Falten gelegt, so sah er immer aus, wenn ihm irgendetwas nicht so richtig in den Kram passte. Als ich fertig war, überlegte er noch kurz, dann sagte er, dass im Haus kein Zimmer frei sei.
»Herr Reimann, ich geh auch in die kleine Garage«, antwortete ich ihm verzweifelt. Ich hatte keine andere Wahl, wenn ich hier
nicht irgendwo unterkommen konnte, würde ich binnen Kurzem kein Dach mehr über dem Kopf haben.
»In der Garage kann man so nicht wohnen, da steht noch alles Mögliche an Zeug drin und die müsste erst einmal umgebaut werden, das geht nicht von heute auf morgen«, wehrte er ab. »Und was ist mit dem Abstellraum da hinten?« Er hatte noch eine kleine Kammer, in der er Farbtöpfe, Werkzeug und andere Utensilien aufbewahrte. Er überlegte kurz, und ich war froh, dass mir der Raum eingefallen war. »Den könnten wir schneller ausräumen, aber ob man da wohnen kann?«
»Kein Problem! Ich zieh in den Raum, bis die Garage fertig ist! Wie viel würde das denn kosten?«
»Das kann ich dir jetzt noch nicht sagen. Zieh erst mal ein.« Es machte mich zwar ein wenig unruhig, dass ich noch nicht genau wusste, mit wie viel Miete ich zu rechnen hatte, aber ich musste mich jetzt erst einmal um andere Sachen kümmern. Die Wohnungsübergabe stand vor der Tür und ich musste dafür sorgen, dass der ganze Kram, der noch von meinen Eltern darin stand, ausgeräumt wurde. Von einer Telefonzelle aus rief ich einen Freund meines Vater an, der mir mit seinem Auto half, den Krempel zu beseitigen. Das war mir weniger unangenehm als einen meiner eigenen Freunde zu fragen. Ich warf einfach alles in Bettlaken, die Möbel schleppte ich mit dem Freund meines
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