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Das Mädchen, das nicht weinen durfte

Titel: Das Mädchen, das nicht weinen durfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khadra Sufi
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sofort, als sie mich bemerkte. Er sagte, dass er noch dringend wegmüsste. Ich lief schon mal nach draußen, um mich von ihm zu verabschieden, und sah, wie die Kleine sich hinter seinem Wagen versteckte, der etwas entfernt geparkt war. Als ich ihn zur Rede stellte, reagierte er genervt und ging einfach. Ich verstand seine Zurückweisung nicht und fing an, die Schuld bei mir zu suchen, weil ich ihn nicht verlieren wollte. Ich redete mir ein, wenn ich nur geduldig genug wäre und zurücksteckte, ihm zeigte, wie ernst ich es meinte, würde er mir irgendwann die Gefühle entgegenbringen, nach denen ich mich sehnte.
    An einem Wochenende wartete ich mit Tina auf ihn. Wir waren gerade auf der Tanzfläche, wo neben uns noch zwei Mädchen tanzten, eine von ihnen war die Blonde, die einige Tage vorher mit Erkan im Auto verschwunden war.
    »Christina, da ist er!«, rief ihre Freundin. Die tat unaufgeregt, zog aber umso heftiger an ihrer Zigarette. Erkan kam herein, behandelte mich aber, als sei ich Luft.
    »Jetzt lehnt er neben der Toilettentür an der Wand und die Blonde geht zu ihm«, flüsterte mir Tina zu. Dann verschwanden sie hinter den Toilettentüren. Das war zu viel, ich lief den beiden
hinterher. Neben den Waschbecken waren vier Türen zu den Klos und als ich reinkam, drehte sich gerade der erste Türgriff von Grün auf Rot. Ich schlich wie benommen zum Waschbecken. Während ich in den Spiegel schaute, hörte ich, wie neben mir ein Gürtel geöffnet wurde, eine Hose fiel, ein unterdrücktes Männerstöhnen immer heftiger wurde. Lustvoll fielen sie übereinander her, nur eine dünne Holztür trennte mich von diesem Anblick.
    Während sie nebenan zugange waren, schaute ich in den Spiegel und sah ein Mädchen, das sich heute besonders hübsch gemacht hatte, die Haare waren hochgesteckt, die Augen mit einem Kajalstrich und Lidschatten ausdrucksvoll betont, die vollen Lippen dunkelrot nachgezogen. Ich sah gut aus, verdammt gut sogar! Und ich brauchte diesen Scheißkerl nicht!
    »Christina?«, hallte es plötzlich in den Raum. Ihre Freundin streckte den Kopf durch die Eingangstür, und die beiden in der Toilette verstummten, nur der Gürtel klimperte kurz auf den Fliesen.
    »Christina fickt gerade mit meinem Freund«, teilte ich dem Mädel nüchtern mit, dann ging ich. Als ich später im Bett lag, machte ich kein Auge zu. Ich wollte mein letztes bisschen Stolz spüren, aber ich war gebrochen.

Arbeit und Sehnsucht
    Zum Glück begann jetzt meine Ausbildung und von nun an bekamen meine Tag Struktur. Montags bis freitags arbeitete ich von 8 bis 17 Uhr in der Praxis. Im ersten Jahr sollte ich 721 Mark netto im Monat verdienen und musste mir erst einmal ein Konto einrichten, denn bisher war ich immer in bar bezahlt worden. Außerdem war ich erstmals pflichtversichert und so konnte ich endlich mal wieder zum Arzt gehen, was ich mir bis dahin bei Erkältungen oder Zahnschmerzen verkniffen hatte, denn beim
Sozialamt wollte ich nie wieder um einen Sozialamts-Krankenschein oder um Unterstützung betteln müssen.
    Nachdem ich die Miete und meine Monatskarte für Bus und Bahn von meinem Gehalt bezahlt hatte, blieben mir noch ungefähr 300 Mark, was mir gereicht hätte, aber ich kellnerte weiter und schaffte es sogar, meiner Familie noch regelmäßig etwas Geld zu schicken. Sie hatten sich im teuren England nicht so gut eingelebt und ständig fehlte es an etwas, außerdem brauchte ich das Gefühl, dass ich noch für sie da war. Freitag- und Samstagabend arbeitete ich im Café Duck und dienstags im Passion, wo Erkan seit jener Nacht nicht mehr auftauchte, weil er sich mit Murat zerstritten hatte.
    Seitdem ich in der Praxis arbeitete, war es gar nicht mehr so einfach, alle Jobs unter einen Hut zu kriegen. Dienstags um 17 Uhr, nachdem ich Feierabend hatte, fuhr ich mit der Bahn schnell nach Hause, zog mich um und stand ab 21 Uhr bis morgens um 5 Uhr an der Kasse in der Disco, um dann um 8 Uhr wieder im weißen Kittel in der Praxis zu sein. Die Augenringe schminkte ich mir vorher weg, denn keiner durfte merken, dass ich nicht geschlafen hatte. Wenn mir vor Müdigkeit die Augen zufielen, schloss ich mich in der Toilette ein, um ein paar Minuten einzunicken. Ich zählte oft die Stunden, bis ich mich endlich wieder auf meine Matratze legen konnte.
    Da ich so eingespannt war, sah ich Tina nur noch am Wochenende, ansonsten ließ ich niemanden an meinem Leben teilhaben und gab nichts preis, wenn es um mich ging. Für meine Kolleginnen hatte ich

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