Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Mädchen, das nicht weinen durfte

Titel: Das Mädchen, das nicht weinen durfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khadra Sufi
Vom Netzwerk:
er nur und lachte. Und tatsächlich drückte er mir an diesem Abend auch ein Trinkgeld in die Hand: »This is for you.« Es war ein zusammengeknüllter Schein und als er durch die Tür war, sah ich, dass es 50 Mark waren! Und seitdem bekam ich von ihm jedes Mal einen Fuffi als Trinkgeld!
    Bob schmiss aber auch selbst Partys in der Botschaft und lud viele Gäste aus dem Café Duck ein, auch Tina und mich. Mein Chef hatte mir schon erzählt, dass seine Feste legendär und in der ganzen Stadt bekannt waren und ich sie auf keinen Fall verpassen durfte. Und so war es auch, es gab einfach alles und die halbe Stadt war da. Fortan brachten Tina und ich auch einige Freundinnen mit, und Bob freute sich, wenn wir unsere Späße machten oder auf der Tanzfläche abrockten. Einmal setzte ich mich zu ihm und wir quatschten ein bisschen. Bob fragte mich, woher ich eigentlich so gut Englisch könnte, und meinte, dass ich einen amerikanischen Akzent hätte. Ich erzählte ihm, dass ich die Sprache von klein auf gelernt hätte und dass meine Familie sich auch schon darüber lustig machen würde, denn seit sie in England lebten, sprachen meine Geschwister Oxford-Englisch. »Have you ever been to America?«, fragte mich Bob. »No.« Ich war noch nie da gewesen. »Du musst da hin, du wirst es lieben! Wann ist dein Geburtstag?«
    »Am 24. November«, gab ich Auskunft. »Dann schenk ich dir einen Trip nach Amerika!« Er legte den Kopf in den Nacken und lachte, sodass sein Goldzahn wieder hervorblinkte.

    Ich sagte ihm, dass ich gar nicht in die USA einreisen dürfte, weil ich mit meinem Aufenthaltsstatus niemals ein Visum bekommen würde, aber Bob wollte sich darum kümmern. »Ja, ja, red du nur!«, dachte ich . Zwei Tage später rief mich sein Sekretär aus der Botschaft an, ich sollte ihm meinen Pass für den Visumsantrag schicken und Tina auch. Wir beide in den USA! Allein die Vorstellung davon brachte uns zum Kreischen, und vier Wochen später standen wir in Frankfurt am Flughafen, unsere Tickets in der Hand, die uns nach New York bringen sollten. Unser Traum sollte wahr werden.
    Am Check-in wurde ich noch einmal daran erinnert, warum ich bis jetzt nicht daran geglaubt hatte. Eine ältere Stewardess der American Airlines begutachtete mein graues Reisedokument, in dem bei Herkunftsland staatenlos eingetragen war. Sie blätterte darin herum und sah das Einreisevisum, das ich für Amerika bekommen hatte, aber trotzdem tat sie sich sehr schwer damit, mir meinen Pass zurückzugeben und mich einfach durchzulassen. Ich musste mich an die Seite stellen, während Tina, die einen deutschen Pass besaß, und alle anderen Passagiere problemlos einchecken konnten. Dann ging die Stewardess mit meinem Pass ein paar Schalter weiter und griff zum Telefonhörer. Ich konnte nicht hören, was sie sagte, aber sie wählte mehrmals und sprach wohl mit verschiedenen Leuten. Nach einer Weile kam sie endlich wieder.
    »Wie lange haben Sie vor, in den USA zu bleiben? Was haben Sie in den USA zu tun? Wer hat Ihnen das Ticket bezahlt?« Jetzt stieg Wut in mir auf, aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, und beantwortete ihr alle Fragen, bis ihr offenbar keine mehr einfielen, und sie mir zögerlich mein Reisedokument zurückgab. Ich konnte einchecken!
    Eine Woche lang eroberten Tina und ich New York, mit großen Augen liefen wir durch die Straßen und wussten gar nicht, wo wir zuerst hingucken sollten. Der Madison Square Garden überwältigte
uns. Die Geschäfte waren rund um die Uhr geöffnet, draußen auf den Bürgersteigen waren alle möglichen Artisten, die sich mit Schlangenakrobatik oder Breakdance ein paar Dollar verdienen wollten. Plötzlich kam ein Typ auf uns zu, der seinen Mantel aufknöpfte, unter dem links und rechts funkelnde Uhren hingen, die er zum Verkauf anbot. Die Hamburger, die wir im Restaurant bestellten, waren so groß, dass zwei Personen davon satt geworden wären, und jeder Amerikaner begrüßte uns mit: »Hi, how you’re doing?« Und wenn ich gerade ausholen wollte, um zu erzählen, wie es mir ging, liefen sie auch schon weiter. Ich brauchte ein paar Tage, um zu begreifen, dass es nur eine normale Begrüßungsfloskel war und sie nicht wirklich wissen wollten, ob es mir gut ging.
    In Deutschland hatten wir uns Ausweise gebastelt und unser Alter nach oben frisiert, dadurch kamen wir in einige Discotheken rein, in denen man normalerweise erst mit 21 Jahren Zutritt hatte. Unsere gefälschten Pässe sahen aus, als ob sie in der

Weitere Kostenlose Bücher