Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
kannst du mir die Chrysanthemen schenken. Ich könnte eine Topfblume gut gebrauchen.«
»Zu spät. Sobald Antons Mutter abgereist war, habich den Topf auf die Straße gestellt, und kurz darauf war er weg. Da hat mich Anton ziemlich angebellt.« Yulin zwingt sich zu einem Lächeln. »Ich glaube, er ist ein richtiges Muttersöhnchen.« Sie stößt einen Seufzer aus. »Aber das eigentliche Problem ist die Söhnchenmutter. Sie will ihn nicht loslassen.«
»Du musst ihn ja nicht heiraten. Ohne Ehemann hast du auch kein Problem mit der Ehe«, sagt Mendy trocken.
Yulin holt aus, als wollte sie ihrer Freundin einen Klaps auf die Wange geben. »Du hast mein Alter noch nicht erreicht«, sagt die fünf Jahre Ältere. »Wenn du mir jetzt schwörst, dass du lebenslänglich auf Ehe und Familie verzichtest, werde ich darüber nachdenken, was du gesagt hast.«
Mendy kichert, presst aber schnell ihre Hand auf den Mund, hält die Luft an und verweigert die Aussage. Yulin sieht zu, wie das Gesicht der Freundin langsam rot anläuft, dann lächelt sie triumphierend. »Ha, ich wusste doch, wie deine Eingeweide gerollt sind!«
Auch wenn keine Probleme gelöst werden, heitert das offene und herzliche Gespräch die beiden Freundinnen zunehmend auf. Es dauert nicht lange, bis Yulin ihren Ärger vergisst und sich in eine fröhliche Frau verwandelt. Dann machen sich die beiden ans Einkaufen. Ihr Ziel ist die Abteilung Damenoberbekleidung: Kostüme und Hosenanzüge. Dabei fällt Yulin auf, dass sie von Mendy noch gar nichts erfahren hat. Ein wenig ungewöhnlich ist das schon. Denn normalerweise erzählen die Eisenschwestern spontan drauflos, wenn sie zusammen sind. Vom Studium,vom Job, von der Liebe. Von allem, was sie bewegt und beschäftigt.
»Sag mal, bist du in jemand verknallt?«, fragt Yulin plötzlich, während Mendys Hände flink zwischen den Kleiderstangen herumwandern.
Mendy errötet und meint, die große Schwester habe sie wieder mal heimlich geröntgt. Nein, sie sei nicht verliebt, jedenfalls noch nicht, aber sie habe das Gefühl, dass sich jemand in sie verliebt haben könnte, und das bringe sie ganz durcheinander.
»Schau an«, sagt Yulin. »Und wer ist es?«
»Ach, so ein Student«, sagt Mendy und erzählt von ihrer Begegnung mit Oswald.
»Und weshalb bist du durcheinander?«, will Yulin wissen.
»Na ja, er hat mich geküsst, und ich hab es auch zugelassen. Aber Oswald kommt aus einer wohlhabenden Familie. Man kann fast sagen, er führt ein fürstliches Leben – er hat eine große Wohnung, ein Auto und eine riesige Bücher- und CD-Sammlung. Ich komme mir bei ihm wie Aschenputtel vor.«
»So ein bisschen Goldglanz hat dich schon eingeschüchtert?«, sagt Yulin und gibt der Freundin einen Knuff. »Du darfst nicht vergessen, was du alles hast: deine Jugend und deine Willensstärke und das Potenzial, aus eigener Kraft reich zu werden. Du kannst dich ruhig in ihn verlieben.«
»Ich weiß nicht. Er hat einen völlig anderen Charakter. Er hat es zum Beispiel gar nicht eilig, mit dem Studium fertig zu werden. Er ist ein begabter Mann, aber die Leichtigkeit seines Lebens macht ihn zum Müßiggänger.« Mendys Stimme klingt sachlich, als wäre sie bei einer Seminarbesprechung. »Ich glaube, er ist nicht der Richtige für mich.« Bei der jetzigen Kälte braucht Mendy eigentlich keinen Regenmantel. Aber der Trenchcoat, den sie gerade entdeckt hat, lässt ihre Augen flackern. Sie hält ihn sich vor die Brust und stellt sich keck vor den Spiegel. Ihre Augen schicken Fragezeichen an Yulin.
»Damit kannst du als Agentin auftreten. Es fehlt nur noch ein breitkrempiger Hut, der deine Augen im Schatten hält«, sagt Yulin grinsend. »Wenn du meinst, Oswald ist noch ein grüner Apfel, dann streich ihn von der Liste der Heiratskandidaten. Aber was ist mit seinen anderen Fähigkeiten? Vielleicht ist er ein guter Liebhaber?«
»Hm, ich weiß nicht«, sagt Mendy und beißt sich auf die Unterlippe. »Er hat lockiges Haar und sieht gut aus. Und mit seiner Gitarre kann er schnell ein Frauenherz erobern. Aber ich glaube, dass er schon bei einigen Frauen haltgemacht hat. Ich weiß nicht, ob ich mich in seine Sammlung einreihen soll …«
»Mendy, du stellst immer so hohe Ansprüche«, lächelt die Ältere mit leichtem Tadel. »Entweder alles oder nichts – dieses Motto ist einfach nicht zeitgemäß. Hast du schon vergessen, wie du deinen schottischen Kommilitonen mit deiner platonischen Liebe verwirrt und schließlich in die Verzweiflung
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