Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
Deutschland nicht sehr. Zu viel Fett, zu viel Sahne, zu wenig Gemüse, und außerdem dauert es ewig, bis mal was auf dem Tisch steht. Am ehesten schmeckt es ihm beim Italiener, die haben wenigstens Nudeln. Aber er möchte dem Goldenen Drachen nicht die Freude verderben. Und er muss zugeben, im Borchardt schmeckt es nicht schlecht. Das Essen wärmt ihm den Bauch, und er hat das Gefühl, er müsse seinem neuen Bruder einen wichtigen Tipp geben.
»Also, das mit dem Koffer voll Geld«, sagt er, »das war schon ein dickes Ding. Ich hab gedacht, dem Notar fällt die Brille herunter, so hat der geglotzt.«
Zu seiner Überraschung ist der Mongole kein bisschen beleidigt, sondern nickt voller Einsicht. »Du hast recht, mein Freund«, sagt er. »Morgen gehen wir zu deiner Hausbank. Ich muss hier ein Konto eröffnen. Schließlich bin ich ja jetzt ein Berliner!«
Boss Guan sieht neues Ungemach auf sich zukommen. »Aber meine Bank ist nichts für dich«, sagt er. »Der Leiter meiner Filiale hat eine Glatze, er kann kaum Englisch, und die Haare wachsen ihm aus der Nase.«
Jetzt muss der Goldene Drache laut lachen. »Lass mich nur machen«, sagt er. »Das ist genau die richtige Bank für einen braven Bürger wie mich. Der hat eine Höllenangst, dass seine Filiale bald zugemacht wird, und freut sich über Kunden, die flüssig sind. Du musst ihm nur sagen, dass du mein Freund bist, dann findet er schon einen Weg.«
»Aber …«
»Kein Aber«, sagt Hong Litong. »Du musst dich entspannen, mein Freund.«
Tatsächlich kennt er gleich um die Ecke einen Massagesalon, und da gehen die beiden jetzt hin. Sie werden von zwitschernden Thailänderinnen begrüßt, deren Gesichter allerdings dick geschminkt sind. Eine der jungen Frauen greift nach der Hand von Boss Guan und will ihn in ihre Kabine führen. »Geh nur!«, zwinkert der Goldene Drache ihm zu.
Auch nach der Massage wollen die beiden Männer sich noch nicht trennen. Der Goldene Drache bringt seinen Bruder mit einem Taxi zur Strahlenden Perle , und um den Tag wenigstens einigermaßen wieder unter Kontrolle zu bringen, lädt Boss Guan seinen neuen Freund ein, mit ins Sonnenzimmer zu kommen. Er lässt ein paar delikate Häppchen und Rotwein aus dem Restaurant bringen, aber das genügt Hong Litong nicht. Er will das brennende Gefühl in der Kehle erleben und schreit nach Maotai. Boss Guan holt den Schnaps und die Gläser aus dem Vitrinenschrank, und bald darauf sind beide so herzlich miteinander, als wären sie Kameraden im Schützengraben gewesen. Sie sind beide einundfünfzig und im selben Jahr geboren, aber Boss Hong ist vier Monate älter, deshalb nennt er den Restaurantbesitzer jetzt »kleiner Bruder«.
Nachdem sie gemeinsam eine ganze Flasche des farblosen Feuerwassers geleert haben, werden sie nicht nur zu Brüdern, sondern auch zu Geschäftspartnern. Boss Guan hat eine große Kleiderbestellung für eine deutsche Warenhauskette vorfinanziert, und der Abnehmer war von der ersten Lieferung aus Wuhan so begeistert, dass er gleich noch einmal nachbestellt hat. Ursprünglich wollte Boss Guan das Geschäft allein machen, aber jetzt muss er noch einmal eine Menge Geld investieren, denn die Textilfabrik liefert nur gegen Vorkasse. Er hat zwar noch Geld auf seinem Konto, aber das hat er für eine andere Investition vorgesehen. Er hat das Problem kaum erwähnt, da bietet ihm der Goldene Drache schon eine Beteiligung an dem Geschäft an. Er wird hundert Prozent der zweiten Lieferung finanzieren, ist aber gern bereit, sich mit zwanzig Prozent des Gewinns zufriedenzugeben. »Schließlich war es ja deine Idee, kleiner Bruder Guan«, sagt er.
Als die beiden Männer das Geschäft per Handschlag besiegeln, zeigt Boss Guan wie immer ein unbewegtes Gesicht, als wäre er tatsächlich ein stumpfer Bär. Doch innerlich jubelt er: Was für ein schöner Tag! Wenn das so weitergeht, könnte der Goldene Drache sein Glücksstern werden.
Beim nächsten Glas bedankt sich der Goldene Drache noch einmal »von ganzem Herzen«, dass sein »kleiner Bruder Guan« heute »so hervorragend« für ihn übersetzt hat. »Ich wünschte, ich könnte auch so gut Deutsch wie du«, sagt er. »Ich brauche unbedingt einen Sprachlehrer. Oder, vielleicht besser noch: eine Sprachlehrerin. Kannst du mir jemand empfehlen?«
Boss Guan sagt, er werde sich umhören. Dann will er zu einem anderen Thema überwechseln. Aber der Goldene Drache fragt nach: »Wie wäre es mit deiner Tochter? Ihr Deutsch hat einen sehr schönen
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