Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
er nach der Tüte greifen wollte, sei die Schlägerei losgegangen.
Was Tubai nicht erwähnt, ist die Tatsache, dass Koch Lin schon seit Langem Lebensmittel aus dem Restaurant mitgehen lässt. Tubai hat davon gewusst, aber aus Angst vor dem Koch nichts unternommen. Doch seit Mendy Geschäftsführerin ist, fühlt Tubai sich verpflichtet, sie zu beschützen. Damit hat Lin nicht gerechnet.
»Sei vorsichtig«, sagt Tubai leise, bevor er sich wie ein Bodyguard hinter Mendy stellt.
Koch Lin stampft als Letzter herein. Da er ohnehin das Gesicht verloren hat, versucht er gar nicht erst, den Schein zu wahren, sondern geht gleich zum Angriff über. Er greift nach dem Schrubber, der hinter der Tür steht, und baut sich, die andere Hand in die Hüfte gestemmt, wie ein Wikinger vor Mendy auf. »Wenn du es wagst, mir ein Haar zu krümmen, dann stelle ich eure Scheißbude hier auf den Kopf, du Daunenzahnmädchen! Ich sage dir, du und deine ganze Familie, ihr seid alle Gangster. Dein Vater schuldet mir jede Menge Lohn. Selbst wenn ich die ganze Kühltruhe leer geräumt hätte, wären eure Schulden bei mir noch nicht ausgeglichen!«, brüllt er und schießt seine Spucke dabei wie einen Bienenschwarm durch die Luft. Mendy tritt etwas zur Seite, um dem Speichelregen zu entgehen, macht aber keinen Schritt rückwärts. Tubai bleibt dicht neben ihr, um jederzeit eingreifen zu können, falls Koch Lin auf die Idee kommt, den Schrubber als Waffe einzusetzen.
»Gut. Nimm, was du willst, und geh nach Hause. Ich halte dir die Hintertür auf, dann zählt deine Tat nicht als Diebstahl«, erklärt Mendy kühn.
»He, willst du mich auf die Schippe nehmen?« Koch Lin stampft mit dem Schrubber auf den Boden. »Oder hast du etwa vor, mich zu feuern? Tu’s nur. Sobald ich weg bin, ist die Steuerfahndung hinter euch her und reißt euch in Fetzen. Haha!« Er schlägt mit dem Schrubber lärmend gegen die hinter ihm befindliche Arbeitsplatte.
»He, warum schreist du denn so?«, mischt Oswald sich ein und stellt sich unmittelbar vor den Koch. »Piano bitte, piano!« Da er des Chinesischen nicht mächtig ist, weiß er gar nicht, worum es geht. Er versucht den Streit als eine Art Wort-Sinfonie aufzufassen, und das Gebrüll des Kochs tut ihm in den Ohren weh. Aber Lin ignoriert den jungen Mann einfach.
»Niemand hat eine Kündigung ausgesprochen«, sagt Mendy.
»Stell mir keine Falle, du hinterlistiges Mädchen! Sag mir lieber gleich, was du mit mir vorhast.« Die Augen des Kochs verengen sich. Er hat Angst.
»Gut«, sagt Mendy und blickt dem Mann fest in die Augen. »Wenn du versprichst, dein Bestes für eine Erneuerung der Speisekarte zu tun, und dich mit Tubai versöhnst, bist du weiter unser geschätzter Koch. Dann werde ich niemandem von der Sache heute Abend erzählen.« Sie dreht sich zu Tubai um. »Tubai, du tust das auch nicht.«
Tubai nickt, während Oswald die Szene wie eine exotische Scharade verfolgt.
»Und wenn ich nicht darauf eingehe?«, sagt Lin und schielt aus den Augenwinkeln zu Mendy hinüber.
»Es gibt kein anderes Angebot«, sagt Mendy. »Und falls du noch einmal stiehlst, hast du deine Chance verspielt. Dann wirst du fristlos entlassen.«
Koch Lin fasst die junge Frau fest ins Auge, als müsse er ihre Worte auf ihre Ernsthaftigkeit prüfen. Dann lässt er den Schrubber krachend zu Boden fallen. »Gut, dein Angebot ist bei mir angekommen.«
Mendy streckt Koch Lin die Hand hin, und der packt kräftig zu. Will der Kerl ihr die Hand zerdrücken? Sie beißt die Zähne zusammen und unterdrückt einenSchmerzensschrei.
»Du machst aber keine Spielchen mit mir, ja?« Der Koch grinst und lässt ihre Hand schlagartig fallen.
Mendy will keine weitere Auseinandersetzung. »Geh nach Hause, Meister Lin. Aber vorher gib Tubai die Hand. Versöhnt euch.«
Koch Lin schwingt Tubai den Arm wie eine Keule entgegen und zielt auf seine Nase. Dieser packt die Hand des Gegners und dreht sie ihm auf den Rücken.
»Hast du keine Ohren, du brünstiger Hund?«, schreit der Koch. »Jetzt ist die Zeit für Nudelsuppe und Mondkuchen.« Er schüttelt die Hand des anderen ab und marschiert polternd zur Hintertür. Im nächsten Augenblick ist er verschwunden.
Nach dem Vorfall ist Mendy nicht mehr in der Stimmung, zu einem Konzert zu gehen. Oswald schlägt eine nächtliche Spazierfahrt vor, und Mendy stimmt zu. Eine Weile sitzt sie still auf dem Beifahrersitz und denkt nach. Hat sie richtig gehandelt? Irgendetwas nagt an ihr.
Während sie ziellos am
Weitere Kostenlose Bücher