Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
tun?« Die Pelzmantelträgerin schaut sie misstrauisch an, hebt den Kopf und will gerade wieder mit ihrem Vergiftungs- und Durchfallgejammer anfangen, da sagt Mendy rasch: »Ach, kommen Sie doch bitte mit in mein Büro. Da haben wir mehr Ruhe, Frau …«
»Jensen«, sagt die Frau. »Mein Name ist Jensen.«
Das überrascht Mendy, denn die Frau hat eindeutig asiatische Gesichtszüge. Eine Thailänderin? Oder kommt sie aus Bali? Offenbar ist sie mit einem Deutschen verheiratet. Nach zwei Sätzen weiß sie, dass diese Frau zum ersten Mal im Restaurant war. Ihrem Aussehen nach wirkt sie nicht gerade böswillig. Aber Mendy hat gelernt, dass selbst hinter einem freundlichen Gesicht eine Erpresserin stecken kann, und mahnt sich zur Vorsicht.
»Gut, ich werde der Sache nachgehen«, sagt sie. »Um unseren guten Willen zu zeigen, schenke ich Ihnen einen Gutschein im Wert von zehn Euro. Den können Sie einlösen, wenn Sie das nächste Mal zu uns zum Essen kommen.«
Die Frau nickt und verlässt mit dem Gutschein das Restaurant.
Als es am Nachmittag etwas ruhiger geworden ist, bestellt Mendy die Mitarbeiter einzeln zu sich ins Büro, um sich zu erkundigen, ob jemand irgendetwas Verdächtiges beobachtet hat. Nein, ihm sei nichts aufgefallen, sagt Tubai. Er habe Besteck und Teller wie immer heiß sauber gespült und das Gemüse ordentlich geputzt und gewaschen. Koch Lin sagt, er habe wie immer vor dem Servieren abgeschmeckt. Wäre etwas Verdorbenes in den Speisen gewesen, hätte er es bestimmt bemerkt. Aber als er das Büro verlässt, glaubt Mendy, ein schadenfrohes Grinsen in seinem Gesicht gesehen zu haben.
Als sie wieder allein im Büro ist, versinkt sie in Gedanken. Ist diese Frau Jensen eine Erpresserin? Oder hat Koch Lin ihr einen Streich gespielt? Wollte er ihr in Erinnerung rufen, dass sie auf seinen guten Willen angewiesen ist?
Aber die Geschichte ist noch nicht vorbei. Denn am nächsten Tag erscheint Frau Jensen erneut in der Strahlenden Perle . Mit dunklen Ringen unter den Augen sieht sie genauso krank und erschöpft aus wie gestern. Das überrascht Mendy. Nach zwei Tagen müsste sich der Körper doch von einer Lebensmittelvergiftung erholen können. Hat das Aussehen der Frau womöglich gar nichts mit dem angeblichen Durchfall zu tun?
Mit etwas verkrampftem Lächeln und überfreundlichen Worten teilt Mendy der Beschwerdeführerin mit, ihre Nachforschungen hätten keinerlei Hinweise auf ein Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter ergeben. Einen Anspruch auf eine Entschädigung könne sie daher nicht anerkennen. Da wird die Frau wieder streitsüchtig. Wenn das Restaurant alles richtig gemacht habe, wieso habe sie ihr dann gestern einen Coupon geschenkt? Das sei doch der Beweis dafür, dass sie ein schlechtes Gewissen habe. Aber mit einem Coupon im Wert von zehn Euro sei ihr Schweigen nicht zu kaufen. Sie werde der ganzen Welt erzählen, was man ihr angetan habe.
Je länger Frau Jensen zetert, desto weniger glaubt Mendy ihr die ganze Geschichte. Als Frau Jensen sogar noch eine Entschädigung wegen anhaltender Arbeitsunfähigkeit verlangt, schüttelt Mendy den Kopf. Frau Jensen möge doch erst mal ein ärztliches Attest vorlegen, ob sie überhaupt krank war und woran sie gelitten habe. Aber das hat Frau Jensen natürlich nicht.
Von da an ist Mendy endgültig überzeugt, eine Erpresserin vor sich zu haben. Sie bricht das Gespräch ab und fordert Frau Jensen auf, das Restaurant zu verlassen. Als diese ihrer Aufforderung nicht nachkommt, bittet sie den Kellner Bogo, die Frau aus dem Restaurant zu vertreiben. Bogo ist nicht sehr groß, kann aber sehr gefährlich aussehen. Alle Gäste schauen gespannt zu, wie er Frau Jensen aus dem Lokal begleitet. Auch Tubai und Lin verfolgen hinter der Durchreiche wortlos die Szene. Als die Frau weg ist, beginnen im Restaurant plötzlich alle gleichzeitig zu reden. Nur Tubai und der Koch wechseln kein Wort miteinander.
Aber damit ist die Sache noch längst nicht erledigt. Am nächsten Abend erscheint ein magerer Deutscher mit einem grauen Daunenanorak im Restaurant, der sich ein Bier bestellt und behauptet, er wäre der Ehemann von Frau Jensen. Er ist deutlich älter als seine Frau, aber viel höflicher und wortgewandter. Und er stellt eine klare Forderung: fünfhundert Euro in bar. Als Mendy Nein sagt, greift er nach seinem Rucksack und sagt leise zu ihr: »Wissen Sie, Fräulein, ich habe meine schmutzige Unterhose von vorgestern aufbewahrt. Da sieht man genau, was ich hier bei Ihnen
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