Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
hast du recht«, sagt Mendy. »Wenn die Deutschen zum Italiener gehen, essen sie auch dauernd Pasta. Dabei waren die Nudeln eigentlich unsere Erfindung. Und wenn wir Nudeln servieren, brauchen wir auch kein Glutamat.«
In der Mittagspause erzählt Tubai, was er in seinem Nudelimbiss alles für Gerichte gekocht hat, undMendy schreibt eifrig mit. Es sind alte, traditionelle Gerichte aus Fujian, die zum Teil noch von seinem Vater stammen. Das andere sind bewährte Rezepte aus dem Nudelrestaurant, das er früher zusammen mit seinem Bruder geführt hatte. Als die Pause vorbei ist, hat Mendy zwölf neue Gerichte notiert, sodass die neue Tageskarte schon bestens gefüllt ist.
Ehe das Lokal am Abend öffnet, setzen sich die Mitarbeiter normalerweise um den Tisch neben dem Kücheneingang und stärken sich bei einer gemeinsamen Mahlzeit. An diesem Abend ist es ein großes Probe-Essen. Mendy hat bei Tubai gleich fünf von den neuen Gerichten bestellt. Als die dampfenden Nudeln auf dem Tisch stehen, sind alle Tischgenossen begeistert und machen sich mit wahrem Heißhunger darüber her. Ob Yuxiang Qiezi , nach Fisch duftende Aubergine, oder Ganshao Routiao , gebratenes Schweinefleisch mit Bambusstreifen, alles verschwindet in Windeseile vom Teller. Nach der Mahlzeit sind alle so gesättigt und zufrieden, dass sie noch ein paar Minuten länger am Tisch sitzen bleiben.
»Das erinnert mich an die mit Schweinefleisch gefüllten Klebreisknödel, die meine Mutter immer gemacht hat«, sagt der alte Kellner Bogo. Und dann fangen alle an, von ihren Lieblingsgerichten zu erzählen, die sie zu Hause in ihrer Kindheit gegessen haben: Seetangsalat, scharf zubereitetes Mapo-Tofu, Weißkohl mit vorgekochtem Fleisch, kurz gebraten … Wüsste man nicht, dass sich alle gerade den Bauch vollgeschlagen haben, so könnte man glauben, sie halluzinierten vor Hunger.
»Jetzt brauchen wir nur noch einen zugkräftigen Namen für unsere Nudelkarte«, sagt Bogo. »Ein bisschen Reklame muss sein.«
»Wir brauchen etwas Englisches«, sagt Peipei. »Die Deutschen lieben englische Sachen. Wie findet ihr Happy Noodle ?«
Mendy will die Freundin nicht kränken, aber das geht ihr doch ein bisschen zu weit. »Ich werde mir etwas einfallen lassen«, sagt sie rasch.
Aber Kellner Bogo unterstützt den Vorschlag sofort. »Das ist eine gute Idee!«
Gerade noch rechtzeitig fällt Mendy ein, was sie an der Uni gelernt hat: Die Kreativität der Mitarbeiter ist das größte Betriebskapital. Sie nickt und zieht sich ins Büro zurück. Während im Lokal die Abendgäste bedient werden, geht sie zum Papiergeschäft, kauft eine große rote Papptafel und breite Filzstifte. Am nächsten Morgen hängt das Plakat im Fenster:
HAPPY NOODLE
Die Strahlende Perle lädt ein zum
großen chinesischen Nudelessen
mit hausgemachten Nudeln aus Fujian!
Jedes Gericht nur 8 Euro!
Und in etwas kleinerer Schrift hat Mendy dazugeschrieben: Unsere Küche ist absolut glutamatfrei!
Damit Tubai mit dem Kochen nachkommt und immer mit frischen Zutaten arbeiten kann, hat sie das Angebot auf der Tageskarte stark eingeschränkt. Fünf leckere Nudelgerichte müssen genügen. Auf diese Weise lassen sich auch die niedrigen Preise besser kalkulieren.
Seit Vater Guan weg ist, hat Mendy nicht mehr so viel Zeit, die Gäste persönlich zu bedienen, aber an diesem Montag nimmt sie sich Zeit. Sie will sehen, wie sich die Nudelkarte bewährt. Sie zieht ihre Kellnerkleidung an und geht wie ein fröhlicher Spatz durch das Restaurant. Sie spart nicht mit Lächeln und weist immer wieder auf die neuen Angebote hin. Sind die Gäste ihrer Empfehlung gefolgt, fragt sie hinterher unauffällig, ob sie zufrieden waren und wie es geschmeckt hat.
Und die Happy Noodle ist ein Erfolg! Am ersten Tag gibt es über zwanzig Bestellungen. Am zweiten Tag sind es schon doppelt so viele. Und wegen der Aktionspreise sieht Mendy auch viele neue Gesichter. Die Büroangestellten und Verkäuferinnen aus der Umgebung sind mittags immer schon gern gekommen, aber jetzt setzt ein richtiger Run ein.
Mendy ist überglücklich. Als Tubai vorschlägt, das Glutamat gänzlich aus der Küche zu verbannen, stimmt sie sofort zu. Für sie ist Tubai jetzt der Große Koch. Sie würde ihn gern auch offiziell befördern, aber das geht nicht. Er ist ja nach wie vor nur Asylbewerber und darf eigentlich gar nicht arbeiten.
Eine Woche lang hat Koch Lin sich krankgemeldet. Als er wieder zur Arbeit kommt, ist sein rechter Arm zwar nicht mehr steif
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