Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
ihr Mann und sie im Lauf der Jahre gekauft haben. Seit sie wieder schwanger ist, strengt sie der Weg ins Büro aber zunehmend an, und so verlegt sie die Arbeit Stück fürStück in die Wohnung. Wenn die Prüfung der Rechnungen und Kontoauszüge sie ermüdet, legt sie eine Pause ein und macht ein Nickerchen auf der Couch. Als Mendy an der Tür klingelt, gönnt sie sich gerade so eine Schlummerpause.
»Ich bin so müde«, gähnt Yeye und lässt die Stieftochter in die Wohnung.
Mendy wirft einen zärtlichen Blick auf den leicht gewölbten Bauch der Stiefmutter. »Das kommt von dem Baby«, sagt sie. Dann zeigt sie ihr die mysteriöse Karte.
Die Müdigkeit der Älteren ist sofort wie weggefegt. Sie starrt auf die Karte und fängt an zu schimpfen: »Dein Vater hat sowieso kaum mehr flüssiges Geld. Macht sich einfach aus dem Staub, und ich darf dann meine privaten Ersparnisse plündern.«
Mendy fragt, was die drei Blätter auf der Karte zu bedeuten haben, und Yeye antwortet mit mühsam unterdrückter Wut: »Sie vergessen niemanden. Kaum hat das neue Jahr begonnen, sind diese verdammten Geier schon da!« Als Mendy fragt, wer diese »Geier« denn seien, geht die Stiefmutter nicht darauf ein.
»Kannst du tausend Euro aus der Kasse des Restaurants nehmen? Das wird dir nicht besonders schwerfallen, oder?«, fragt Yeye.
Eine dunkle Ahnung überkommt Mendy. »Ich weiß nicht, ob ich tausend Euro lockermachen kann. Ich hatte ein paar Investitionen geplant«, sagt sie zögernd.
»Die Sicherheit des Restaurants hat Vorrang«, sagt Yeye entschieden. »Halte tausend Euro bereit und komm morgen früh noch mal zu mir. Ich werde dir etwas geben. Der Fremde wird morgen wiederkommen und es abholen. Die Übergabe muss unauffällig erfolgen, darauf musst du achten. Und behalte die Sache für dich.« Damit wird die Stieftochter wieder nach unten geschickt.
Am nächsten Tag übergibt ihr Yeye einen dicken Umschlag. »Pass auf!«, sagt sie. »Da drin sind zweitausend Euro. Tu deine tausend Euro dazu. Das ist die verlangte Summe«, sagt sie knapp. Dann schickt sie Mendy zurück ins Restaurant.
Die junge Frau ist verwirrt. Werden ihr Vater und seine Frau um Schutzgeld erpresst? Wer steckt hinter dem gut gekleideten Mann, der die Körpersprache der Bedrohung so sicher beherrscht? Plötzlich erinnert sie sich, dass ihr Vater vor ein paar Jahren schon einmal mit einem unheimlichen Fremden gesprochen hat. Sie hatte die beiden damals bedient. Der Fremde hatte ganz still dagesessen und nur gelegentlich den Mund gespitzt, während ihr Vater leise und beschwörend auf ihn eingeredet hatte. Es sah aus, als ginge es um ein Geschäft, aber der Mann und ihr Vater konnten sich offenbar nicht einigen.
Schließlich war ihr Vater entnervt aufgestanden, um in sein Büro zu gehen. Aber dort blieb er auf der Schwelle stehen und klammerte sich an den Türrahmen. Erschrocken war Mendy zu ihm hingelaufen und hatte auf dem Schreibtisch eine zuckende Ratte gesehen, die mit einem Messer auf die Platte genagelt war und den Kampf um ihr Leben gerade verloren hatte. Mendy wollte schreien, aber der Vater hielt ihr den Mund zu. Sie solle keinen Lärm machen, flüsterte er.Dann ging er allein ins Büro und schloss die Tür hinter sich. Als sie sich wieder öffnete, war auf dem Schreibtisch nichts mehr zu sehen. Der Vater wischte sich nur einmal nervös die Stirn mit dem Handrücken. Dann ging er zu dem Unbekannten, der immer noch seelenruhig am Tisch saß, und übergab ihm unauffällig einen Briefumschlag. Der Mann hatte unmerklich gelächelt und war aus der Strahlenden Perle verschwunden …
Mendy zuckt zusammen und blickt nervös um sich, als sie durch das Restaurant geht. Aber außer ihr ist noch niemand da. Dennoch spürt sie so etwas wie giftige Nebel aufsteigen, die ihr die Sinne verschleiern. Das muss die Angst sein. Angst vor einem Ungeheuer, das nur eine einzige scharfe, glänzende Kralle zeigt und alles andere im Dunkel hält. Zitternd geht die junge Frau ins Büro, holt tausend Euro aus der Kasse des Restaurants, legt ihren Anteil zu dem ihrer Stiefmutter und schließt den Briefumschlag in der Schublade ein.
Der Chinese mit dem Kanton-Akzent erscheint tatsächlich wieder. Diesmal bestellt er nur einen Kaffee. Er steckt den prall gefüllten Briefumschlag ein, den Mendy ihm wortlos gegeben hat, und wirft erneut einen bohrenden Blick auf die geschlossene Durchreiche. Mendy hat den Eindruck, dass der Mann nach etwas sucht, es aber nicht finden kann. Sie ist
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