Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
Erregung ist eindeutig verraucht, und seine Stimme ist so nüchtern und distanziert, als wäre sein Gegenüber ein bekannter Betrüger. »Gut, was das Darlehen angeht, haben wir alles besprochen. Aber eine kleine Bedingung habe ich noch: Ich habe ein Angebot für deineStieftochter Mendy. Sagt sie zu, kriegst du am selben Tag das Geld, das du ausleihen willst.«
»Was für ein Angebot?«, fragt Yeye irritiert.
»Ein Stellenangebot. Du kannst sie am besten selbst fragen, worum es geht.«
Yeye fällt ein, dass Mendy morgen einen Termin bei ihrer Bank hat. Der Arbeitsvertrag scheint jetzt nur noch eine Formalität, und Mendy freut sich schon sehr auf ihre strahlende Zukunft als Bankmanagerin. »Nun ja, das ist nett von dir. Aber was hat das mit dem Darlehen zu tun?«
»Das ist meine Sache«, versetzt der Mann. »Aber wenn sie morgen nicht kommt, machen wir alles rückgängig. Dann bedanke ich mich für deinen reizenden Besuch.«
Yeye gerät in Panik. Aber sie versucht, ihre Angst so gut wie möglich zu kaschieren. »Boss Hong, du bist ein großer Mann mit einem königlichen Herzen, das weiß ich. Du wirst uns doch helfen, nicht wahr?«
Aber der Goldene Drache spült sich gerade mit einem Schluck Tee den Mund aus und tut so, als hätte er Yeye nicht gehört. Da wird ihr klar, dass ihre Anwesenheit nicht mehr erwünscht ist. Sie macht sich zum Gehen fertig. »Mendy wird zu dir kommen. Und wir werden dir lebenslang dankbar sein für deine gute Tat.«
Am nächsten Morgen bringt der Anwalt Yeye eine schlechte Nachricht von ihrem Ehemann. Boss Guan sei nach einem Verhör im Treppenhaus im Untersuchungsgefängnis gestürzt und habe sich ein Bein gebrochen. Ihm gehe es sehr schlecht in Moabit. Seine Frau solle ihn so bald wie möglich herausholen.
Yeye hat schon gestern mit Mendy über die heikle Lage der Familie gesprochen und ihr das Versprechen abgepresst, Boss Hong zu besuchen. Von Panik ergriffen, ruft sie Mendy erneut an.
»Du musst ihn unbedingt für uns gewinnen«, schärft sie der jungen Frau ein, als Mendy die Wohnung betritt. Tubai bringt Michael gerade zur Schule, und die beiden Frauen sind unter sich. Deswegen muss Yeye gar nicht versuchen, ihre angsterfüllte Stimme zu dämpfen. »Du willst doch nicht, dass dein Vater in Moabit stirbt, oder? Wir müssen ihn schleunigst da rausholen. Und Boss Hong ist der Einzige, der uns helfen kann. Du darfst ihn auf keinen Fall ärgern.«
Mendy hat ein ungutes Gefühl. »Ich weiß nicht, ob ich für ihn arbeiten kann. Die Bank hat mir doch einen Arbeitsvertrag angeboten …«
Yeye schneidet ihr das Wort ab. »Mendy, verstehst du nicht, wo wir stehen? Wir stehen vor einem Abgrund. Dein Vater ist tief gefallen, und wir müssen ihm helfen. Deine Bank wird deinen Vater nicht retten, das kann nur Boss Hong. Also, du musst sein Angebot annehmen, selbst wenn du die Nächte durchackern musst. Erst wenn dein Vater wieder zu Hause ist, kannst du vielleicht kündigen.«
Mendy presst die Lippen zusammen und sagt nichts mehr.
»Komm, lass uns schnell einkaufen gehen. Du musst weiblich und umwerfend aussehen, wenn du zu Boss Hong gehst.« Yeye greift nach ihrer Tasche,schaut in ihr Portemonnaie und sucht hektisch nach ihrer Kreditkarte.
Aber Mendy rührt sich nicht von der Stelle. »Ich habe heute doch den Termin bei meiner Bank.«
»Erst heute Nachmittag, nicht wahr? Wenn wir jetzt sofort losgehen, schaffst du beides.«
»Aber ich muss mich noch vorbereiten.«
»Willst du deinen Vater im Stich lassen?« Yeye wird auf einmal giftig.
»Ich brauche keine neuen Klamotten. Ich ziehe die Sachen an, die ich für die Bank gekauft habe. Die sind gut genug«, sagt Mendy.
»Du hast keine Ahnung von Männern, schon gar nicht von Boss Hong.« Yeye spürt einen bitteren Geschmack im Mund, als sie an die Szene auf dem Sofa des Goldenen Drachen denkt. Irgendwas muss ihn gestört haben. War sie zu ungeschickt? Oder war es ihr Alter? »Männer treffen ihre Entscheidungen mit den Augen, nicht mit dem Gehirn.«
Mendy versucht, sich zu wehren. »Heute bin ich sicher zu aufgeregt, um mit ihm zu reden. Willst du nicht lieber für morgen oder nächste Woche einen Termin für mich bei Boss Hong machen?« Sie dreht sich in Richtung Tür. »Jetzt muss ich gehen.«
»Du undankbares Kind! Heute musst du zu ihm gehen, nicht erst morgen!«, schreit Yeye und hält sie von hinten fest. »Wenn deinem Vater etwas zustößt, dann bist du schuld.«
Mendy streift Yeyes Hand zornig ab. »Wenn du unbedingt
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