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Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman

Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman

Titel: Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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willst«, sagt sie mit Tränen in den Augen, »kann ich auch heute Abend schon hingehen. Aber ichsage dir: Je mehr wir uns an Boss Hong klammern, desto schneller kann er uns verschlucken.« Ohne auf eine Antwort zu warten, rennt sie die Treppe hinunter.
    Nach dem Vorstellungsgespräch verlässt Mendy die Bank mit einem guten Gefühl. Es ist Frühling. Die Sonne strahlt. Der warme Wind streichelt ihre Haut. Der Arbeitsvertrag ist unterschrieben, und sie ist fest davon überzeugt, dass sie einen guten Eindruck bei ihrem neuen Chef hinterlassen hat. Anfang Juni soll sie mit einem Lehrgang beginnen. Ein neues Leben steht ihr bevor.
    Das beflügelt sie so, dass sie alles macht, was Yeye von ihr verlangt. Sie geht mit ihr einkaufen, duscht sich gründlich und parfümiert sich, bevor sie unter Yeyes kontrollierenden Blicken Bluse, Rock und Jacke anzieht. Auch als Yeye von ihr verlangt, eine Pose einzunehmen und einem imaginären Mann einen koketten Blick zuzuwerfen, lässt sie sich darauf ein. Yeye ist so erstaunt, dass sie die Stieftochter sogar ehrlich lobt, was selten vorkommt. Als sie Mendy zum Taxi begleitet, ist sie überzeugt, dass die junge Frau das Herz des Goldenen Drachen im Handumdrehen erobern wird. Wenn sie gewusst hätte, dass Mendy als Erstes in ihre eigene Wohnung fährt, um das damenhafte Kostüm auszuziehen und sich das geschlitzte Seidenkleid überzustreifen, das Boss Hong ihr geschenkt hat, wäre sie noch erstaunter gewesen.
    Durch das Umziehen kommt Mendy etwas verspätet beim Goldenen Drachen an. Sie fürchtet, damit könnte sie ihm die Laune verdorben haben. Aber nein,er mustert sie mit einem langen, zufriedenen Blick. »Schön, dass du heute den Mut gefunden hast, bei mir zu erscheinen. Eben dachte ich noch, du sitzt im nächsten Café und willst nicht zu mir hochkommen.«
    »Ich dachte, du sagst erst mal was zu meinem Kleid, Onkel Hong«, erwidert Mendy kokett und wirft sich in eine Pose, die sie erst heute gelernt hat.
    »Ich sehe, du weißt mein Geschenk zu schätzen. Das freut meine Augen«, sagt der Mann lächelnd und öffnet die Tür zu seinem Salon.
    »Wow, Onkel Hong, dein Wohnzimmer ist ja größer als ein Volleyballfeld!«, sagt Mendy mit kindlicher Stimme und dreht sich zweimal um ihre eigene Achse. Sie hat beschlossen, sich ganz naiv zu verhalten, um ihre Scheu gegenüber dem bulligen Mann zu kaschieren. Als sie den mit kalten Vorspeisen beladenen Tisch sieht, macht sie ein verblüfftes Gesicht. »Aber, Onkel Hong, du hast mir ja gar nicht gesagt, dass es ein Essen gibt. Wie viele Leute hast du denn eingeladen?«
    »Nur eine. Ich möchte heute nur dich füttern. Und du sollst mich unterhalten.«
    »Wie damals in der Strahlenden Perle ? Welch eine Ehre für mich! Gut, dass du meine Aufgabe für heute klar definiert hast. Und was erwartet mich morgen?«
    Boss Hong geht nicht darauf ein, sondern führt die Besucherin an den Tisch mit den Vorspeisen. Es wird gegessen und getrunken und nach anfänglicher Scheu viel geplaudert. Mendy nimmt ihre Aufgabe ernst und redet und redet, als hätte sie ein brennendes Bedürfnis, diesem Mann alles von sich zu sagen. Zuerst erzählt sie von ihrer baldigen Einstellung bei der Bank undmalt eine rosige Zukunft für sich aus. Wenn sie erst einmal Bankmanagerin sei, werde sie das Geld nutzen, um Gutes zu tun und die Gesellschaft in eine gesunde Richtung zu lenken. Es gebe so viel zu verbessern. Nachdem sie genug von ihren Träumen erzählt hat, berichtet sie von der Renovierung der Strahlenden Perle . Der Mann hört sich alles interessiert an und nickt mal zustimmend, mal lobend. Einmal lacht er und sagt, sie zwitschere schöner als alle Wellensittiche.
    Nach den Vorspeisen greift er zum Haustelefon und sagt: »Es kann weitergehen.« Kurz danach klingelt es an der Tür, ein livrierter Chinese schiebt einen Speisewagen herein. In diesem Moment erhält Boss Hong einen Anruf. Er zieht sein Handy heraus, wirft einen kurzen Blick auf das Display, dann verschwindet er im hinteren Bereich der Wohnung, um zu telefonieren. Im Wohnzimmer steht Mendy nun allein mit dem Kellner. Als sie merkt, dass es der Chauffeur mit dem schlaffen Lid ist, erschrickt sie. Heißt er nicht Himmelsstachel? Das ist ein bedrohlicher Name. Sofort fühlt Mendy sich eingeschüchtert. Vergeblich bemüht sie sich, den kalten, lauernden Blick des Mannes ebenso kalt zu erwidern. Hat er sie durchschaut?
    Wortlos schaut sie zu, wie der Mann Fisch, Fleisch, Geflügel, Gemüse, eine heiße Suppe und

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