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Das Mädchen in den Wellen

Das Mädchen in den Wellen

Titel: Das Mädchen in den Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Barbieri
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freut sich sicher, dich zu sehen.« Wahrscheinlich war er aus der Tasche gefallen, die ihr Vater am Tag ihrer Abreise so hastig gepackt hatte. Sie hatte ihn verloren geglaubt und von ihrem Vater in Boston einen anderen bekommen, aber der war einfach nicht Siggy gewesen. Noch Monate später hatte sie um Siggy getrauert.
    »Schaut mal.« Annie nahm, Siggy auf dem Arm, ein Buch vom Nachtkästchen. »Ein Märchenbuch.«
    Irische Märchen. »Daraus hat eure Großmutter mir immer vor dem Einschlafen vorgelesen«, erzählte Nora, die der Anblick des verblichenen roten Einbands nach all den Jahren verblüffte. Sie hatte Patrick damals erfolglos angefleht, das Buch nach Boston mitnehmen zu dürfen.
    »Liest du uns später vor? Wie damals deine Mutter, als du ein kleines Mädchen warst?«, fragte Annie.
    Nora nickte. »Vielleicht morgen. Es war ein langer Tag, und wir müssen uns erst mal eingewöhnen.« Die Lebensmittel wollten verstaut, die Kleider ausgepackt und ein Platz für die Christophorus-Medaillen gefunden werden, die in jeder der Reisetaschen steckten, eine Tradition, die auf ihre Großmutter mütterlicherseits zurückging und eine sichere Reise garantieren sollte. Dazu Bücher (die Bront ë s, Wilkie Collins, Jonathan Strange and Mr. Norrell ), Spiele (Go, Backgammon, Scrabble, Jenga), Sonnenmilch, Mückenschutz, Desinfektionsmittel, Schwimmnudeln und Schnorchelmasken. Der hintere Teil des Geländewagens war so vollgestopft gewesen, dass Nora kaum zum Rückfenster hatte hinausschauen können. Sie hatte versucht, nichts zu vergessen, weil sie nicht wusste, wie gut die Läden im Ort sortiert waren.
    Nora wählte für sich das Zimmer ihrer Eltern mit der vergilbten Spitzentagesdecke und dem Fenster, das aufs Meer hinausging. (»Wenn du die Decke in Essig einweichst, wird sie wieder wie neu«, empfahl Mrs. Clennon.) Der beschlagene Spiegel des Frisiertischs, vor dem ihre Mutter sich abends immer die Haare gebürstet hatte, während Nora zusah, bis Maeve sie mit einem Märchen und einem Kuss auf die Wange ins Bett brachte, stand auch immer noch an Ort und Stelle. Träum was Schönes. Die Zimmer erschienen ihr kleiner, als sie sie in Erinnerung hatte, kleiner, schäbiger – und einsamer.
    Sie wandte sich dem großen Raum mit der durchgesessenen Couch und dem abgewetzten Chenillesessel zu, dann der Küche (»Ich glaube, der Herd hat seine Launen«, warnte Mrs. C. sie. »Hau ruhig drauf, wenn er nicht funktioniert.«) und dem Bad mit den gesprungenen Fliesen. In der Porzellanwanne zeichnete sich ein rostroter Streifen ab, die Spur eines tropfenden Wasserhahns.
    Anschließend gingen sie hinaus auf die Terrasse, wo zu beiden Seiten von der Sonne ausgebleichte Stühle standen, die Armlehnen nach außen verdreht, Dellen in den kaputten Sitzkissen, als wäre gerade jemand davon aufgestanden. »Maire wollte neue besorgen. Scanlon’s könnte was Passendes haben. Oder näh selber welche, wenn du Lust hast. Deine Mutter Maeve hatte eine künstlerische Ader.«
    Nora nickte. Die sich ständig verändernde Palette aus Blau-, Grün-, Grau- und Bernsteintönen inspirierte sie tatsächlich.
    In welcher Hinsicht ähnelte sie noch ihrer Mutter? Die Wellen schlugen gegen das Ufer, stießen salzige Seufzer aus, leckten nach ihr, als wollten sie sagen: Endlich bist du da, du bist zu Hause. Komm näher …
    »Alles in Ordnung?«, fragte Mrs. C. »Du siehst blass aus.«
    »Ich bin ein bisschen müde«, gestand Nora.
    »Ist es so, wie du es in Erinnerung hast? Das Cottage und alles?«
    »Ich war damals noch so jung.« Nora strich über das Fensterbrett. Obwohl es real war, erschien es ihr wie ein Trugbild, das jeden Augenblick verschwinden konnte.
    »Stimmt«, pflichtete Mrs. Clennon ihr bei.
    Annie stieß einen Begeisterungsschrei aus über den lila-orangefarbenen Seestern, der an den bei Ebbe freiliegenden Felsen hing. Sie kletterte über die Landspitze, Ella hinter ihr her.
    »Seid vorsichtig!«, rief Nora ihnen nach. »Die Wellen haben mehr Kraft, als ihr denkt.«
    »Schau, Mama«, rief Annie aus. »Ein Seehund!«
    Und tatsächlich: Aus den Strudeln, die sich aufs Ufer zubewegten, lugte ein glänzender Kopf. Das Tier sah Nora direkt an, die dunklen Augen groß und merkwürdig menschlich, bevor das Lachen der Kinder es ablenkte.
    »Jeder Seehund hat seinen Hafen«, erklärte Mrs. Clennon. »Die örtliche Kolonie lebt auf Little Burke.« Sie deutete auf die verschwommene Silhouette einer Insel in der Ferne. »Vielleicht rudert ihr mal

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