Das Mädchen in den Wellen
Feldern Platz, hin und wieder trottete eine Herde Schafe oder eine Kuh übers Gras. Wenig später kam sie an einem kräftigen braunen Pferd vorbei, das sie von seiner Koppel aus mit traurigen Augen anblickte. Dann zerbrochenes Glas am Fuß einer niedrigen Stützmauer.
Als sie in die kleine Straße einbog, die Maggies Sohn ihr beschrieben hatte, wurde ihr flau im Magen. Sie fuhr eine Anhöhe hinauf, durch ein Kiefernwäldchen, schließlich vorbei an einer Eiche, an deren niedrigstem Ast eine Reifenschaukel hing. Dahinter stand das Haus. Nora lenkte den Wagen zum Eingang und schaltete den Motor aus. Das Haus ähnelte dem Cottage am Glass Beach, war aber größer. Es hatte eine grün gestrichene Tür, die die Farbe des Mooses auf dem Dach aufnahm. Fischernetze hingen über einem Gartenzaun, hinter dem grüne Tomaten und Bohnen an Stangen gediehen und die Kresse gelb blühte. Auf der rechten Seite stand ein Truck mit eingedrückter vorderer Stoßstange – vermutlich das Ergebnis von Maggies Ausflug –, daneben Alisons Capri.
Die Vorhänge bewegten sich, Alison winkte ihr vom Fenster aus zu und öffnete die Tür. »Willkommen in der Casa Scanlon.«
»Es ist hübsch hier.« Der Ausblick auf die zerklüftete Nordküste war atemberaubend.
»Wollen Sie das wirklich machen?«, fragte Alison, als sie den Weg entlanggingen.
Nora nickte.
Liam und seine Frau Rita traten auf die vordere Veranda, er ein Bär von einem Mann mit vernarbten Fischerhänden und kurz geschorenen grauen Haaren, sie dunkelhaarig und zierlich. »Kommen Sie rein.«
Rita verschwand in der Küche. Nora setzte sich in einen blauen Samtsessel, der sie an Maire erinnerte; Alison und Liam nahmen gegenüber auf einer grauen Couch Platz, deren Armlehnen mit Spitzendeckchen bedeckt waren. Über dem Kaminsims hing ein Öldgemälde der Werft.
»Das hat Ma gemalt«, erklärte Liam. »Vielleicht hat unsere Ali ihre künstlerische Ader von ihr.«
»Malt Ihre Mutter immer noch?«, erkundigte sich Nora.
Er schüttelte den Kopf. »Sie verliert schnell die Geduld – einmal hat sie mit der Faust durch eine Leinwand geboxt, die wir ihr gegeben hatten. ›Das ist es, was ich sehe!‹, hat sie geschrien.«
»Oder das eine Mal, wie sie sich selber gemalt hat«, erzählte Alison.
»Erinnere mich nicht daran! Rote Farbe. Ich dachte, sie verblutet. Und dabei hat sie vor sich hin gemeckert wie so ein Ungeheuer aus einem Horrorfilm. Wenigstens hatte sie an dem Tag Sinn für Humor.«
Rita brachte ein Tablett mit Teekanne, Tassen und Keksen. »Darf ich Ihnen einen Tee anbieten?«
»Gern, danke.« Nora schaute sich in dem Raum um, während sie einen Schluck nahm und sich dabei die Zunge verbrannte. Maggie war nirgends zu sehen.
»Ich freue mich, Sie kennenzulernen«, sagte Liam. »Wenn ich mir letzte Woche keine Rückenverletzung zugezogen hätte, wäre ich jetzt mit den Jungs draußen beim Fischen.«
»Das Vergnügen ist ganz meinerseits.«
»Ali hat viel von Ihnen erzählt«, meldete sich Rita zu Wort.
»Nur Gutes, hoffe ich.« Nora lächelte.
»Das Allerbeste. Hierher kommen, anders als auf die anderen Inseln, nicht viele Gäste.«
Verlegenes Schweigen. Nora hörte jemanden hinter einer Tür am Ende des Flurs husten. »Ich sollte zu ihr gehen, bevor mich der Mut verlässt.«
»Natürlich«, meinte Liam.
»Hoffentlich bringe ich sie nicht aus der Fassung.«
Sie bemerkte die Schatten unter seinen Augen, die davon zeugten, wie viel die Krankheit seiner Mutter der Familie abverlangte.
Alison ging voran. »Heute ist sie ziemlich ruhig. Sie haben Glück.« Sie öffnete die Tür.
Maggie starrte von einem Sessel am Fenster aus aufs Meer und den fahlblauen Himmel.
»Manchmal sitzt sie stundenlang so da, ohne sich zu rühren«, flüsterte Alison.
Die Wände von Maggies Zimmer waren in warmem Creme gehalten, die ausgebleichte Quiltdecke bestand aus Flicken von grün geblümten Stoffen und Gingham. Zwei mit Rosensträußchen bestickte Kissen lagen auf dem Bett, ein abgegriffenes weißes Kaninchen mit nur einem Auge, vielleicht noch aus Maggies Kinderzeit, saß dazwischen. An einer Pinwand klebten Fotos. Nora vermutete, dass man sie nicht mit Reißzwecken angebracht hatte, um das Verletzungsrisiko für Maggie zu vermindern. In den Bilderrahmen auf dem hellen Kiefernholztisch – Maggie und ihr Mann, ihre Kinder und ihre Enkel – befand sich kein Glas. Es war ein schlichtes, aber freundliches Zimmer, auf seine Weise zeitlos; der Lebensbereich eines Kindes oder einer
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