Das Maedchen mit dem Stahlkorsett
dann hast du dir gesagt: Ach, was soll’s, nehme ich sie einfach mit nach Hause. Ganz hervorragend.«
Sein Sarkasmus versetzte Griff einen Stich. Er war nicht daran gewöhnt, dass man seine Entscheidungen infrage stellte. Andererseits konnte er Sams Unbehagen verstehen. »Sie hatte vor irgendetwas oder vor irgendjemandem Angst«, erwiderte er. »Ich bin sicher, auf ihrem Korsett das Wappen der August-Raynes’ erkannt zu haben.« Seit einer Weile war es üblich, dass Hausangestellte, genau wie die uniformierten Lakaien, das Abzeichen der Herrschaft auf der Kleidung trugen.
»Er ist einer der reichsten Männer Englands!«, rief Sam ungläubig. »Willst du dich wirklich mit ihm anlegen?«
Griff lächelte. »Liest du nicht die Skandalblätter, Sam? Allem Anschein nach bin ich der reichste Mann Englands. Bin ich deshalb beeindruckender als vorher? Außerdem habe ich so ein Gefühl, dass ich mich in diesem Fall nicht mit dem Vater anlegen würde.«
»Mit wem sonst?«
Griff sah ihm in die dunklen Augen. »Erinnerst du dich an das Mädchen, das wir im letzten Winter in Whitechapel gefunden haben? Die von ihrem Arbeitgeber vergewaltigt und dann hinausgeworfen wurde, als er entdeckte, dass sie von ihm schwanger war?«
Sam nickte mit zusammengebissenen Zähnen.
»Das war Felix August-Raynes, der jüngste Sprössling Seiner Lordschaft«, erklärte Griff. »Er hat sich mit den Dandys ein gelassen und misshandelt anscheinend gewohnheitsmäßig seine Dienerinnen und alle anderen, die seiner Ansicht nach unter ihm stehen.«
»Glaubst du …« Emily hielt inne und blickte mit bleichem Gesicht zur Tür, als fürchtete sie, das oben ruhende Mädchen könnte sie belauschen. »Glaubst du, er hat ihr etwas angetan?«
Griff warf ihr einen mitfühlenden Blick zu. Er wusste nicht viel über Emilys Vergangenheit, ging aber davon aus, dass auch sie ein gerüttelt Maß an Unannehmlichkeiten erlebt hatte. Sie hatte sein Angebot, für ihn zu arbeiten, ohne Zögern angenommen, weil sie ihr altes Leben offenbar möglichst schnell hinter sich hatte lassen wollen. »Ich habe keine Ahnung.«
»Jedenfalls ist es gefährlich, sie hier zu behalten«, lehnte Sam sich abermals gegen Griff auf. »Für sie selbst ebenso wie für uns. Wir können es uns nicht leisten, Aufmerksamkeit zu erregen. Besonders jetzt nicht, da diese …« Seine Stimme brach. »Weil diese Dinger da draußen umgehen.« Alle hörten und ignorierten es.
Er meinte die Maschinen, die Automaten. Die meisten waren absolut harmlos, doch es gab nichts Erschreckenderes als außer Kontrolle geratenes Metall. Deshalb hatte Griff die Überreste von Sams Angreifer in Emilys Werkstatt geschafft. Es galt herauszufinden, warum sich ein einfacher Eisenbahn-tunnelbauer in einen Mörder verwandelt hatte. Fünf Menschen hatte er angegriffen, Sam hatte als Einziger überlebt.
»Was soll ich denn tun, Sam?« Griff strich sich durch die dichte Haarmähne. »Soll ich sie hinauswerfen wie ein Stück Abfall?«
Sam öffnete den Mund, und Griff erkannte, dass sein Freund genau das vorschlagen wollte. Doch Emily kam ihm zuvor. »Du weißt doch, dass wir sie sowieso nicht lange hier behalten können. Sie ist … sie ist keine von uns.«
Griff setzte das schiefe Grinsen auf, das er immer zeigte, wenn er überzeugt war, Recht zu haben. »Da bin ich gar nicht so sicher.«
»Was meinst du damit?«, entgegnete Sam empört. »Musst du denn immer so geheimnisvoll tun?«
Sams Frustration war so stark, dass Griff sie beinahe schmecken konnte. Er kannte den großen Kerl lange genug, um zu wissen, wann er Streit suchte, und wusste genau, dass er ihm körperlich nichts entgegenzusetzen hatte. Sam war der stärkste Mann in Großbritannien, vielleicht auf der ganzen Welt. Doch Griffin verfügte über ganz andere Möglichkeiten und musste sich nicht auf rohe Körperkraft verlassen.
Er konnte eins mit dem Äther werden, mit dieser geheimnisvollen, unergründlichen Energie, die in allem existierte und allgegenwärtig war. Der Äther war auch das Reich der Toten; dort hausten die Geister. Den Grund kannte er nicht, doch er spürte diese Ebene fast körperlich, und sobald er sich für sie öffnete, erfüllte ihn die Energie, und ihm standen gewaltige Kräfte zu Gebote. Manchmal bekam er selbst Angst davor – so sehr sogar, dass er sich nicht einmal seinen Freunden ganz und gar anvertraut hatte.
Natürlich hatte er auch niemandem verraten, wie viel ihm diese entsetzlichen Kräfte abverlangten.
Statt Sam den
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