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Das Maedchen mit dem Stahlkorsett

Titel: Das Maedchen mit dem Stahlkorsett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kady Cross
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wechseln. Unmittelbar bevor ihre geistige Abwehr aktiv wurde, umhüllte er sie mit seiner Kraft. Was sie auch war, sie reagierte blitzschnell.
    In diesem Fall allerdings nicht schnell genug.
    Benommen schwankte sie hin und her und legte ihm eine schmale blutige Hand auf die Schulter. »Was … was hast du mit mir gemacht?«
    »Du musst dich entspannen«, sagte er leise. »Ich helfe dir dabei.«
    Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an. Die Furcht strömte aus ihr wie Wasser aus einem Speirohr. Er hatte einen bitteren Geschmack im Mund. »Schickt mich nicht zurück! Bitte! Ich weiß nicht, was er mit mir tun wird!«
    Also trafen seine Vermutungen zu. Irgendjemand hatte ihr etwas angetan.
    »Bestimmt nicht«, versprach er ihr und drängte sie insgeheim weiter, sich zu beruhigen. »Du bist hier in Sicherheit.«
    Wieder taumelte sie und hielt sich nun auch an seiner anderen Schulter fest. Er trug jetzt den größten Teil ihres Gewichts, doch sie war nicht sehr schwer. Außerdem verlieh ihm der Äther ungeahnte Kräfte. Nun konnte er auch beobachten, wie sich ihre Augen veränderten. Die Pupillen schrumpften, bis wieder ein warmes Gold zu sehen war. Ihre Miene war nicht mehr so wild wie eben noch, schließlich wurden ihr sogar die Knie weich, und sie lächelte ihn an.
    »Danke«, flüsterte sie. Dann verdrehte sie die Augen.
    Griff fing sie auf, bevor sie auf den Boden prallte. »Helft mir, sie wieder ins Bett zu legen«, befahl er.
    Sam zog die Augenbrauen hoch. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst, oder? Sie muss verschwinden. Auf der Stelle.«
    »Nein«, widersprach Griff. Als Emily kam, um ihm zu helfen, lächelte er. Die kleine Rothaarige zog die Decken zurück, damit er das Mädchen auf die Matratze legen konnte, hielt kurz inne und betrachtete das blutige Gesicht und die dunklen Ringe unter den Augen. »So beängstigend wir sie auch finden – sie hat noch viel mehr Angst vor sich selbst.«
    Als Finley das nächste Mal erwachte, war sie wieder einigermaßen sie selbst. Sie hatte sich erholt und fühlte sich lange nicht so angeschlagen, wie sie es erwartet hatte. Außerdem hatte sie das Gefühl, in Sicherheit zu sein. Warum dem so war, konnte sie allerdings nicht ergründen, weil sie sich normalerweise nirgends wirklich sicher fühlte.
    Sie richtete sich auf, lehnte sich an den Berg aus aufgetürmten Daunenkissen und sah sich um. Es war ein großes Schlafzimmer, in Zimt- und Beigetönen gehalten. Das Bett war so breit, dass sie quer darin hätte liegen können, ohne mit Füßen oder Kopf überzuhängen. Neben ihr auf dem Nachttisch standen eine Lampe und ein kleiner Messingkasten mit beschrifteten Knöpfen: »Küche«, »Butler« und »Zimmermädchen«. Ob jemand kommen würde, wenn sie auf einen der Knöpfe drück te? Oder hatten sie zu große Angst vor ihr?
    Rechts waren weite Fenster in die Wand eingelassen, durch die sie einen üppigen, wundervollen Garten erkennen konnte. Wäre hoch droben nicht ein Luftschiff mit dem Schriftzug »Air France« durch den strahlend blauen Himmel geflogen, sie hätte glauben können, sie sei auf dem Land. Bisher hatte sie in London noch nie echte Stille erlebt. Ein Haus wie dieses konnte nur in Mayfair stehen.
    So fühlte sich also eine Lady, wenn sie morgens in Stille und Geborgenheit erwachte.
    Drüben auf dem Schreibtisch stand ein Kurbeltelefon, dessen Metallteile hell glänzten. Sie konnte jemanden anrufen, der sie abholte, aber an wen sollte sie sich wenden? An ihre Mutter? Nein. Sie wollte weder ihre Mutter noch ihren Stiefvater in die Angelegenheit hineinziehen.
    Über dem Schreibtisch hing ein Porträt aus der Zeit Hein richs VIII. mit schwerem, vergoldetem Rahmen. Daneben steckte ein silberner Kerzenhalter in der Wand. War das ihr Werk? O Gott, ja! Die Ereignisse des vergangenen Abends stürmten so schnell auf sie ein, dass ihr fast übel wurde. Sie erinnerte sich an das allzu vertraute Gefühl – dieses Etwas hatte ihren Körper übernommen und sie auf die Rolle einer bloßen Beobachterin in der eigenen Haut beschränkt. Sie konnte sich an alles erinnern, was sie gesagt und getan hatte, doch vernünftige Gründe und Entschuldigungen ließen sich nicht finden.
    Drehte sie jetzt etwa durch? Die Schübe kamen in letzter Zeit immer öfter. Angefangen hatte es, als sie körperlich zur Frau erblüht war. Das lag schon drei Jahre zurück, doch so etwas wie in der letzten Zeit hatte sie bislang nicht erlebt. So vollständig hatte sie noch nie die Beherrschung

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