Das Mädchen mit den Teufelsaugen
er.»
Rosamund wog den Beutel in der Hand, öffnete das Schreiben, las halblaut: «Geben wir bekannt, dass wir die Klosterschätze von Mariahilf an eine neuerbaute Kirche im Nordhessischen gesandt haben. Euch zum Dank übergeben wir 100 Gulden.»
Rosamund ließ das Schreiben sinken, legte es auf einen Arbeitstisch, den Beutel mit dem Geld daneben.
«Willst du nicht nachzählen?», drängte das Urselchen.
Rosamund schüttelte den Kopf. «Warum sollte ich?»
«Was wirst du damit machen?» Das Urselchen grabschte nach dem Beutel, doch ein Blick von Rosamund genügte, dass sie die Finger zurückzog und in die Kleidtaschen steckte.
«Ich weiß es nicht. Das Geld steht mir nicht zu. Ich habe nur eine Aufgabe erfüllt. Jemand, der es braucht, sollte es bekommen.»
«Ich!», schrie das Urselchen. «Ich verlobe mich demnächst. Für die Festlichkeiten könnte ich es gut gebrauchen.»
Rosamund sah sie eindringlich an, und das Urselchen erwiderte ihren Blick offen und bittend.
Sie begreift es nicht, dachte Rosamund. Und gerade deshalb ist auch sie bedürftig.
«Ich dachte eher an die Armen, die jetzt im Winter kaum Holz haben, um ihre Katen zu heizen.»
Das Urselchen breitete die Arme aus. «Wir geben ihnen Holz, und du gibst mir das Geld. Dann haben wir alle etwas davon.»
Die Mutter trat einen Schritt vor. «Sie könnt’ es wirklich brauchen. Ein Zunftkollege hat sich um sie beworben. Einer mit viel Geld und guten Aussichten. Dein Vater ist alt. Lange wird er den Weißbindern nicht mehr als Zunftmeister vorstehen. Es muss vorgesorgt werden.»
Rosamund öffnete den Beutel, schüttete so viele Guldenin Urselchens Hand, wie diese fassen konnte. Dann verschnürte sie den Beutel, klemmte ihn unter den Gürtel. «Den Rest», sagte sie, «bekommen andere, die es nötig haben.»
Die Mutter und Ursula strahlten, hatten auf einmal keine Zeit mehr, hier in der Werkstatt herumzustehen. «Ich lasse mir ein neues Kleid schneidern», verkündete Lisbeth. «Eine Brautmutter muss etwas hermachen.»
Ursula plapperte ebenfalls, fiel der Mutter ins Wort und war schon bald verschwunden.
Rosamund fragte den Vater: «Stimmt es? Dass die Ursel einen Freier aus der Zunft hat?»
Der Vater nickte.
«Wer ist es?»
«Michael Vogt.»
«DER Vogt?»
Wieder nickte der Vater.
«Wie ist das geschehen?»
Der Vater seufzte. «Der alte Vogt hat es sich in den Kopf gesetzt. Die drittgrößte Werkstatt hat er in Frankfurt. Er will aber eines Tages die größte sein Eigen nennen. Deshalb hat der Michael um die Ursel gefreit. Eine gute Partie wäre er schon, der Michael. Er geht nicht in die Schänken, rührt die Würfel nicht an, treibt sich nicht mit den Kebsweibern herum. Fleißig ist er, gottesfürchtig und strebsam. Die Ursula hätte es gut bei ihm.»
«Und du? Was sagst du dazu?»
Wieder seufzte der Vater. «Es ist alles anders, jetzt, wo du wieder da bist. Die älteste Tochter bekommt die Werkstatt,wenn sie einen Weißbinder heiratet. Und die jüngere darf erst vor den Altar treten, wenn die Ältere versorgt ist. So will es der Brauch, und so wollen wir es auch halten.»
«Weiß das die Ursula?»
«Gesagt habe ich es ihr, aber sie hat mich nicht angehört, wie immer. Wenn sie nicht auf mich hören will, so muss sie es von ihrem Zukünftigen erfahren. Verloben darf sie sich alldieweil. Nur die Hochzeit braucht Zeit.»
Rosamund ließ sich auf einen Hocker sinken. «Jetzt sind wir wieder da, wo wir vor einem Jahr schon waren. Ich muss weg, damit die Ursula das Glück kriegen kann.»
«Nein, Liebes, dieses Mal ist es anders. Du kannst bleiben. Du darfst und musst bleiben. Dir steht alles zu.»
«Aber nur als verheiratete Frau.»
Der Vater nickte. «Es war einer da, der nach dir gefragt hat. Ob du noch frei bist, meine ich.»
«Wer denn?»
«Der Falk.»
Rosamund lachte hellauf. «Hat der keine Scham im Leib?»
Der Vater zuckte mit den Achseln. «Jetzt ist alles anders.»
«Kann sein. Aber ich, ich bin dieselbe. Wer hat noch um meine Hand angehalten?»
Der Vater schwieg, warf einen Blick zu Dietrich und betrachtete dann seine Schuhe.
Dietrich räusperte sich. «Es ist wohl sehr schwer, mit einer Heiligen zu leben.»
Rosamund zog die Stirn kraus. «Heißt das, erst wolltemich keiner, weil ich ein Teufelsmädchen bin, und jetzt kommt keiner, weil ich als Heilige gelte?»
Dietrich hob die Hände. «Wer weiß das schon so genau. Ich könnt’ mir nur vorstellen, dass einer, der eine Heilige im Haus hat, aber selbst nur ein
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