Das Mädchen mit den Teufelsaugen
woandershin.»
«Ja, aber wohin?»
«Zum Beispiel neben unseren Dietrich.»
«Bist du von Sinnen? Eine Bürgerin mit Brief, eine Meistergattin kann unmöglich neben einem einfachen Gesellen sitzen. Niemals mehr würde sie uns grüßen, täten wir das.»
«Dann setz doch alle Leute einzeln, dann hast du kein Problem. Ich aber brauche allmählich die Namen, sonst stehst du am Ende ganz ohne Kärtchen da. Oder weißt du noch immer nicht, wen du einladen wirst?»
«Das ist schwieriger, als du meinst. Jede einzelne Einladung muss genau bedacht werden.»
Rosamund schüttelte ein wenig den Kopf, musterte die Schwester, die schon wieder den Federkiel in der Hand hielt und wild auf ihrem Papier herumstrich, und ging, um nach der Mutter zu sehen.
Sie fand sie im Schlafzimmer auf dem Bett sitzend, das neue Kleid für die Verlobung auf den Knien, ein Stück des Mieders zwischen den Zähnen.
«Was tust du da?», fragte Rosamund.
«Wafff?» Die Mutter ließ das Kleid fahren. «Ich? Ach, nichts weiter.»
Sie sah Rosamund an, wieder mit dieser Scheu in den Augen.
Rosamund betrachtete das Kleid. «Was tust du da?», wiederholte sie. «Du hast das Kleid erst vor zwei Tagen vom Gewandschneider geholt. Warum beißt du jetzt darauf herum?»
Die Mutter senkte ertappt den Blick, um sogleich Rosamund verständnisheischend anzusehen. Seit sie eine Heilige war, sprach die Mutter mit ihr. Allerdings nicht so, wie eine Mutter mit ihrer Tochter üblicherweise spricht, sondern als wäre Rosamund ihr Beichtvater.
Die Mutter setzte eine zerknirschte Miene auf. «Das Mieder, es ist zu klein. Und ich, Gott sei es geklagt, bin zu jung, um nicht eitel zu sein.»
«Was willst du damit sagen?», fragte Rosamund und setzte sich neben die Mutter auf das Bett.
Da brach es aus der Mutter hervor. «Geheiratet habe ich einen, den mir die Eltern gesucht haben. Gerade einmal laufen konnte ich, da war ich schon versprochen. Und geheiratet habe ich, sobald ich mannbar war. Nie kam ein Freier, brachte mir Blumen und hielt um meine Hand an, weil er sich nicht lassen konnte vor Liebe zu mir und sein Leben sinnlos war ohne mich», schluchzte sie.
Rosamund verstand. «Du meinst, bei dir war es anders als bei dem Urselchen?»
«Jaha», greinte die Mutter. «Alles, was sie jetzt erlebt, das blieb mir versagt.» Sie sah ihre älteste Tochter an. «Ich bin doch noch nicht alt, oder? Sag du es. Ich bin doch noch nicht alt. Erst gestern trieb ich den Reifen durch die Straßen, dass mein langes Haar hinter mir herwehte, und heute, heute …» Sie begann erneut zu weinen, und Rosamund vollendete den Satz: «Und heute soll deine jüngste Tochter sich verloben und all das bekommen, was du nie hattest.»
Lisbeth tupfte sich die Tränen ab. «Ja», hauchte sie mit zitternder Stimme. «Ja. Genauso ist es.»
«Du bist nicht alt. Dein Gemüt ist das eines jungen Dinges. Darum musst du dich nicht sorgen», sagte Rosamund und war verblüfft über die Erkenntnis, dass die Mutter wahrhaftig nie erwachsen geworden war. Und da ahnte sie, dass auch das Urselchen ewig ein Kind bleiben würde, ein verzogenes Kind, gewohnt, seinen Willen zu bekommen, unverzüglich und in vollem Umfang.
«Was hat das Kleid damit zu tun?», wollte sie jetzt wissen.
Sofort begann die Mutter wieder zu plärren. «Ich bin noch jung. Du hast es selbst gesagt. Ich kann mich noch messen mit den Jungfrauen, die unterm Maibaum quietschen, weil jemand ihre Brüste begrabscht.»
Rosamund schwieg.
«Die Ursula, sie will keine junge Mutter haben. Nur sie soll strahlen am Fest. Mich will sie zu den Alten stellen.»
«Warum das Kleid?»
Die Mutter knüllte das Taschentuch in der Hand. «Den Ausschnitt wollte ich größer machen. Größer als den an Urselchens Kleid. Die Leute sollen sehen, dass ich auch was zu bieten habe.»
«Du wolltest die Ursula bei ihrer eigenen Verlobungsfeier ausstechen?» Rosamund schüttelte den Kopf.
Lisbeth begehrte auf. «Ich hatte ja nie so ein Leben. Also ist es auch meine Verlobungsfeier, oder nicht? Ein bisschen wenigstens?»
Rosamund wusste darauf keine Antwort. Dafür fiel ihretwas anderes ein. «Und was ist mit mir?», fragte sie leise. «Ich hatte bisher auch keine Verlobungsfeier. Du hast wenigstens ein neues Kleid. Ich aber werde in den alten Lumpen gehen müssen, ganz ohne Ausschnitt und Putz und Tand.»
Die Mutter schluckte, riss dann das Maul auf. «Aber … aber …», stotterte sie. «Du brauchst diese Dinge ja gar nicht. Du bist eine Heilige.
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