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Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Titel: Das Mädchen mit den Teufelsaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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reichte ihr einen Säugling, damit sie ihn segne. Ein alter Mann nahm sie bei der Hand, führte sie ans Krankenbett seiner Frau, auf dass sie ihr einen Segen spreche und das Kreuzzeichen auf die Stirn male.
    Rosamund tat das alles mit großem Ernst. Ihr Vater fragte sie: «Du sagst, du bist keine Heilige. Warum tust du dann diese Dinge?»
    Rosamund erwiderte: «Ich weiß es und du weißt, dass ich keine Heilige bin. Aber die Leute hier, die glauben daran, versprechen sich etwas davon. Ich gebe ihnen Hoffnung. Sie haben sonst nicht viel. Soll ich ihnen das bisschen auch noch nehmen?»
    «Du bist ein guter Mensch», antwortete der Vater. «Du wirst es noch schwer haben.»
    Dann holten sie das Pferd und ritten den ganzen Tag lang über die verschlammten, aufgeweichten Wege, bis sie endlich die Frankfurter Stadttore erreicht hatten.
    Der Vater wollte direkt nach Hause, aber Rosamund dirigierte ihn zuerst zum Orden der Deutschherren. Ihnen übergab sie den Schatz von Mariahilf.
    «Warum habt Ihr Euch nicht an den Bischof gewandt?», fragte der Comptur der Deutschherren.
    Rosamund zuckte mit den Achseln. «Ich möchte, dass der Schatz einen guten Platz erhält. Einen würdigen Platz. Er soll nicht in irgendwelchen Schatzkammern verstauben. Die Leute sollen sich daran freuen. Vielleicht gibt es eine Kirche, gerade neu gebaut, die diese Sachen gut brauchen kann, um die Gläubigen zu erquicken. Ihr wisst am besten darüber Bescheid.»
    Der Ordensherr betrachtete die in Leder gebundene Bibel, die kostbare Monstranz. «Ein anderer hätte sich bereichert an diesen Dingen. Bis an Euer Lebensende hättet Ihr ausgesorgt.»
    «Mag sein», erwiderte Rosamund. «Aber mein Seelenheil hätte ich verspielt.»
    Der Comptur dankte im Namen des Herrn, dann truger die Schätze weg, und Rosamund und ihr Vater ritten nach Hause.
     
    Die Mutter ließ den Löffel fallen, als Rosamund die Küche betrat. Scheu bestaunte die Mutter ihr Gewand. Dann trat sie zu ihrer ältesten Tochter, bückte sich und küsste den Saum des Priesterkleides. Rosamund musste wegschauen. «Steh auf, Mutter», bat sie. «Ich bin nicht anders als früher.»
    Die Mutter erhob sich, nahm sie beim Arm, führte sie zur Küchenbank, rief der Magd zu, sie solle weiche Kissen holen, aber rasch. Dann stellte sie mit Honig gesüßte Mandelmilch vor Rosamund, brachte weißes, weiches Festtagsbrot. «Iss und trink. Du hattest einen langen Weg.»
    «Der Vater auch», entgegnete Rosamund, schob ihm den Milchbecher zu und brach das Brot in zwei Teile.
    Da flog die Tür auf, und das Urselchen stürzte herein. «Du bist wieder da», rief sie und flog ihrer Schwester um den Hals. Rosamund blieb steif sitzen, ließ sich von Urselchens Haar kitzeln, roch den feinen Vanilleduft ihrer Haut.
    «Ja, da bin ich wieder», sagte sie, machte sich vom Urselchen los, ging hinauf in ihre Kammer, ließ sich von der Magd heißes Wasser bringen, reinigte sich und wusch ihr Haar mit duftender Seife. Am nächsten Tag zog sie ihre alte Kleidung an, die erstaunlicherweise noch im Schrank hing, und begab sich hinüber in die Werkstatt. Sie kochte Waid aus, rieb Farben an, fertigte Zeichnungen von Wandfriesen an, tat alles, was sie früher auch getan hatte. Es gab nur einen Unterschied: Rosamund betete nun, gingallein in die Kirche, entzündete Kerzen. Die Leute blieben stehen, wenn sie sie auf der Straße sahen. Manche Männer rissen sich die Mützen vom Kopf. Sie musste sich plötzlich vor niemandem mehr verstecken, die Tonia war vergessen, als hätte sie es nie gegeben, der Falk als Trottel hingestellt, die Nachbarin mit den bei Regen verdorrten Blumen verspottet.
    Rosamund tat nichts dafür, tat nichts dagegen.
    Eines Tages, sie war gerade zwei Wochen wieder zurück, kam ein Bote von den Deutschherren. Er brachte einen kleinen Lederbeutel und ein Schreiben. Die Mutter nahm die Sachen entgegen, kam, gefolgt vom Urselchen, in die Werkstatt gestürzt.
    Seit Rosamund wieder zu Hause war, begegnete die Mutter ihr mit Scheu. Selten nur hielt sie Rosamunds Blick stand, widersprach ihr nie, reichte ihr beim Essen die besten Stücke. Rosamund kam es so vor, als hätte die Mutter Furcht vor ihr, erwartete aber zugleich große Dinge. Dabei wollte Rosamund nicht, dass sich jemand vor ihr fürchtete. Es sollte aber auch niemand etwas von ihr erwarten, das er nicht selbst zu tun bereit war.
    «Was ist das?», fragte sie.
    «Ein Bote der Deutschherren brachte es. Für dich und nur zu deinen Händen, sagte

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