Das Mädchen: Roman (German Edition)
sie zu ihr hoch. Er schüttelt den Kopf und winkt nach dem Kellner. Sie kommt sich vor, als wäre sie nackt und ihre Haut aus lauter Lügen zusammengesetzt, und sie wächst in ihre Scham hinein, akzeptiert, dass sie die Tochter dieses Mannes ist.
Vater, sagt sie und grinst.
Ihr Vater hebt seinen Arm, als müsse er etwas abwehren, dann schließt er die Hand und ballt sie zur Faust.
Es ist still geworden um sie herum. Ihr Vater lässt den Arm sinken und sagt: Na, sieh mal einer an. Doch statt seine Tochter mit einem Feuerwerk aus Flüchen zu bedenken, wie sie es erwartet hat, lächelt er, steht auf und bleibt leicht schwankend vor ihr stehen.
Gehen wir, sagt er leise und berührt mit seiner Hand ihren Ellenbogen.
Die Frau ruft ihnen etwas hinterher, doch es bringt ihren Vater nicht dazu, sich umzudrehen. Sie spürt Stolz in sich aufsteigen, diesmal hat sie es geschafft, er kommt mit ihr nach Hause. Auf der Straße stemmen sie sich gemeinsam gegen den Wind, ihr Vater seufzt, als hätten ihn die Worte im Stich gelassen. Er hält den Kopf gesenkt, sie hat sich bei ihm untergehakt. Vor ihrem Haus bleibt er stehen, sucht etwas in seinen Hosentaschen, dann setzt er ein besorgtes Gesicht auf.
Meine Brieftasche, flüstert er, hab meine Brieftasche, mein ganzes Geld im Café vergessen.
Ich hol es dir, flüstert sie, du kannst hier warten.
Nein, sagt er. Es ist zu spät.
Ich wäre ganz schnell wieder da, verspricht sie, mit einem Flehen in ihrer Stimme.
Er schlägt mit der flachen Hand gegen die Haustür, und ohne sie anzusehen, sagt er: Geh hoch, ich komme nach. Er versucht, mit einem Stoßseufzer seine Lüge abzumildern: Denkst du, mir macht das Spaß? Dann verschwindet er im Dunkel der Straße.
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11
Sie ist beim Klauen erwischt worden. Beinahe hätte sie sich vor Schreck in die Hosen gemacht, als die Verkäuferin ihr an der Tür den Weg verstellte. Sie sieht noch immer deren triumphierendes Grinsen vor sich und ist froh, dass ihre Beute an diesem Tag nur aus einer Schachtel Bonbons bestanden hat. Sie bleibt bei ihrer Ausrede, dass sie nur vergessen habe, zu bezahlen, wer will ihr das Gegenteil beweisen – niemand kennt ihr Lager unter dem Bett, wo sie ihr anderes Diebesgut versteckt hält.
Als der Abschnittsbevollmächtigte in die Klasse kommt, ahnt sie, dass es ihretwegen ist. Während der Polizist einen Vortrag über sozialistisches Eigentum hält, überlegt sie sich ihre Strategie. Sie wird alles abstreiten. Sie versucht in dem Gesicht des Polizisten zu lesen, wie gut ihre Chancen stehen, damit durchzukommen. Als der Beifall verebbt ist, wird sie von ihrem Klassenlehrer nach vorn an die Tafel gerufen. Herr Baum wiegt bedächtig den Kopf und spricht von einer persönlichen Enttäuschung. Seine Worte kommen ihr verlogen vor, und sie fragt sich, woran der Lehrer seine Enttäuschung misst, er weiß doch gar nichts von ihr. Sie fühlt sich gedemütigt, weil es nicht darauf ankommt, ob sie die Tat leugnet oder gesteht, ihre Schuld wird einfach vorausgesetzt. Die Empörung sitzt ihr in der Kehle, und sie entschließt sich, unschuldig zu sein; die Verkäuferin hat sich geirrt, diese Möglichkeit könnte immerhin der Wahrheit entsprechen, und so ins Unrecht gesetzt, zeigt sie einen trotzigen Stolz. Sie zuckt die Achseln und betrachtet ihren Lehrer. Er ist alt, denkt sie, mindestens dreißig, und doch hat er keine Ahnung. Sie holt tief Luft und lässt einen leisen Pfeifton hören. Herr Baum runzelt streng die Stirn. Sie pfeift lauter und ist von ihrem Mut selbst überrascht, aber nun kann sie nicht mehr zurück, laut pfeifend geht sie an ihren Platz. Sie kann die Atemgeräusche ihrer Mitschüler hören, doch dann klingelt es zur Pause, und der Polizist verabschiedet sich, als hätte er es plötzlich sehr eilig. Herr Baum begleitet ihn hinaus.
In der Pause schaut sie sich herausfordernd im Klassenzimmer um. Vor ihr sitzt Lutz, ein dürrer, hässlicher Junge, der was mit der Lunge hat und immer friert. Wenn er hustet, holt er den Schleim tief aus den Bronchien und schluckt ihn geräuschvoll herunter. Er kann nicht anders, denn sonst hätte ihn die ihn umgebende Wand aus Abscheu längst davon abgehalten. Auch er sitzt allein. Als es zur Stunde klingelt und die Schüler neben ihren Schulbänken stehen, reißt sie ihm die Hose herunter, und da steht er, in seiner entsetzlichen Magerkeit, mit einem Zitterpimmel, und sie lacht am lautesten in dem einsetzenden Chor aus Schadenfreude.
Herr Baum schaut sie an, als
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