Das Mädchen: Roman (German Edition)
Bett, träumt wirres Zeug – sie hat keine Füße mehr, die Beine enden an den Knien, sie springt wütend auf Kniestümpfen durch die Gegend, die Kniestümpfe sind blutig, und sie rammt sie tief und tiefer in den Boden. In den Träumen schießen auch Bilder von Hugo in ihr hoch, und noch im Schlaf durchrollt sie eine Woge aus schlechtem Gewissen.
Als sie sich besser fühlt, kann sie es kaum erwarten, durch ihre vertrauten Straßen zu gehen. Sie besucht Elvira, die ihre längeren Haare bestaunt. Du siehst aus wie ein Mädchen, sagt Elvira so verwundert, als wäre sie früher ein Junge gewesen.
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Der neue Mann ist bei ihnen eingezogen. Henry arbeitet mit ihrer Mutter in der Mitropa. Stolz zeigt er ihr seine Schallplattensammlung, die im Wohnzimmer lagert; es sind Hunderte von Platten, die meisten aus dem Westen. Sie betrachtet ein Foto auf der Plattenhülle, es ist ihr peinlich, dass sie sich über den Mann mit der Ponyfrisur äußern soll.
Keine Ahnung, sagt sie, hab nie was von ihm gehört.
Er kann es nicht fassen, dass sie Cliff Richard nicht kennt. Danach scheint sie für Henry ein hoffnungsloser Fall zu sein, er spricht mit ihr nie wieder über seine Platten, und sie ist nicht traurig darüber.
Sie freut sich auf den ersten Schultag, kämmt sich mit besonderer Sorgfalt die Haare, benutzt sogar einen Lippenstift, wischt ihn aber vor der Schule wieder ab.
Die anderen Mädchen müssen sich vor den Sommerferien abgesprochen haben, Brüste zu bekommen, denn sie ist die Einzige, die noch flach wie ein Brett ist. Sie hat kein Gramm Fett an den richtigen Stellen vorzuweisen, beunruhigt fragt sie sich, ob das so bleiben wird. Beim Umziehen vor dem Sportunterricht mustert sie die Mädchen genauer, einige tragen schon einen BH , und Elvira zeigt ihr stolz die winzigen Brüste in der Toilettenkabine und fragt sie: Hast du auch schon welche? Sie zeigt nichts, zuckt nur unbestimmt die Schultern, was alles bedeuten kann, vor allem, dass es sie gar nicht interessiert.
Die Jungs in der Klasse kommen ihr vor, als seien sie lauter geworden, gefährlicher, sie machen sich über alles lustig, brüllen widerliche Ausdrücke durch die Gegend, nennen die Mädchen Schlampen und Nutten, niemand entgeht ihrem Spott. Da ist das Schneewittchen, rufen die Jungs ihr nach, kein Arsch und kein Tittchen!
Die Herbstfarben explodieren in den Hinterhöfen, Weinreben ranken die Hauswände hoch, sie klettert mit ihrem Bruder über Mauern, sie liebt diese Kletterei, liebt es auch abzuhauen, auf der Flucht zu sein, wenn die Hausbewohner ihnen hinterherschreien, weil sie um ihre Weintrauben fürchten, sie versteht es sogar, sie wäre genauso zornig, wären es ihre Weintrauben, diese Einsicht hält sie aber nicht davon ab, händevoll die noch halb sauren Früchte zu verschlingen.
Dann ist der erste Stubenarrest fällig. Die Mutter hat ein erschöpftes Gesicht, als sie die Strafe verkündet, und weil ihre Tochter so aussieht, als mache ihr der Stubenarrest nichts aus, bekommt sie gleich noch einen zusätzlichen Monat aufgebrummt.
Sie geht täglich in die Kneipe und holt den Nachschub an Bierflaschen. Der neue Mann sitzt abends mit der Mutter vor dem Fernseher, öffnet eine Flasche nach der anderen. Henry verträgt viel, und auch die Mutter versteht es zu trinken, ihre Augen glänzen, sie lacht, als würde sie gekitzelt, und sie stolpert nicht mal, wenn sie mit Henry tanzt. Seitdem er bei ihnen wohnt, ist Musik angesagt, allabendlich spielt er seine Platten ab, und ihre Mutter stimmt in die Schlager mit ein, singt aus voller Kehle, als wäre sie glücklich.
Ihr schwangerer Bauch scheint sie nicht zu stören. Richtig wütend ist sie nur noch, wenn Henry nicht da ist; dann kann es allerdings heftig zur Sache gehen, wie ein aufgestautes Jaulen brechen die Töne aus ihrer Kehle hervor.
Sie begreift nicht, warum der Zorn mit solcher Wucht der Mutter in die Glieder fährt, dass sie nur noch röchelt oder schreit, mit böser Stimme, als wolle sie alle vernichten. Sie glaubt nicht wie Alex an einen Dämon, der von ihrer Mutter Besitz ergreift – warum schreit sie dann die Bäckersfrau nicht an, hält sie ihrem Bruder entgegen, oder verprügelt den Postboten?
Darauf weiß er keine Antwort. Er ist dieses Jahr eingeschult worden, übt mit Begeisterung Schönschrift und Pionierlieder, kann es kaum erwarten, bald sein blaues Halstuch zu tragen.
Sie stiehlt der Mutter fünfzig Pfennig aus der Jackentasche, und das stellt sich als fataler
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