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Das Mädchen: Roman (German Edition)

Das Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Klüssendorf
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einen Freund, der mit ihr geht. Sie weiß nicht, warum sie ihn humpeln lässt und er auf einem Auge blind ist – dafür gibt sie ihm eine beeindruckende Tätigkeit: Er arbeitet auf dem Rummel, bei den Karussells. Mui versteht zuerst nicht, wie er von Wagen zu Wagen springen kann, wenn er doch humpelt – er humpelt nur leicht, ganz leicht, antwortet sie und macht ihr vor, wie er sein Bein nachzieht. Natürlich gab es Küsse, über alles andere weigert sie sich zu sprechen.

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    17
    Sie sitzt auf der Bettkante und beobachtet, wie Mui und Carmen ihre Koffer packen, die Luft ist erfüllt vom Gesumm ihrer erwartungsvollen Stimmen. Sie wird nicht wie die anderen in den großen Ferien nach Hause fahren; die Mutter will sie nicht sehen.
    Als der Bus am Horizont verschwindet, steht sie immer noch da und winkt.
    Im Heim ist es ungewohnt still, sie geht in den Waschraum, zieht sich aus und dreht die Duschen auf. Keiner sieht sie und kann sich über sie lustig machen, sie springt umher, lässt die kleinen, harten Wassertropfen auf ihre Haut prasseln, bis es wehtut. Sie steht vor dem großen Wandspiegel und kann nicht einschätzen, was der ihr zeigt: nicht mehr Kind, aber auch nichts anderes, ein Nichtkind, Nichtmädchen, ein spindeldürres Ding dazwischen; sie geht ganz nah an den Spiegel heran, quetscht ihre Nase gegen das Glas, macht einen Kussmund.
    Sie findet eine Ferienarbeit. Frühmorgens fährt sie mit dem Fahrrad aufs Feld, um Rüben zu verziehen. Während die Sonne aufgeht, lockert sie mit der Hacke die Erde, dann kriecht sie auf allen vieren die Reihen entlang, zieht die schwachen Pflanzen und das Unkraut heraus, lässt nur die starken Rüben stehen. Schon bald schmerzt ihr Rücken, eine Rübenreihe scheint endlos lang, die Sonne brennt bald unbarmherzig, nach einer Woche ist ihre Haut dunkelbraun.
    Doch dann stürzt sie auf einer frisch geteerten Straße vom Fahrrad, die kleinen scharfen Asphaltsteinchen schürfen ihr die Haut vom Oberschenkel, sodass unter dem Dreck das rohe Fleisch zu sehen ist.
    Ein Arzt kommt ins Heim, untersucht sie und gibt ihr eine Tetanusspritze. Sie muss für ein paar Tage im Bett bleiben.
    Sie liest noch einmal Der Graf von Monte Christo, begleitet Edmond Dantès auf seinen Etappen durchs Leben, kostet mit ihm am Ende den Moment der Rache aus. Sie wünscht sich, mit jemandem über das Buch zu sprechen, einen Menschen, der ihre Begeisterung teilt.
    Die Hitze im Zimmer macht sie träge, sie kommt sich wie in einem Backofen vor. Die Wunde an ihrem Bein ist mit einem flüssigen Pflaster übersprüht, fasziniert betrachtet sie, wie winzige Eiterwürmer die zarte Pflasterschicht durchbrechen. Sie denkt an Mui, versucht sich ihren Freund vorzustellen, malt sich aus, wie es beide miteinander machen. Ein Prickeln durchläuft ihren Körper, zieht sich in der Mitte zusammen, sie wünscht sich, jemand würde sie genau dort berühren. Sie erinnert sich an die Sommertage in der Heide, als sie eng mit Steffitanzte. Sie lässt ihre Hände zwischen den Beinen verschwinden, bewegt sie genauso, wie Steffies ihr gezeigt hat; nach einer Weile scheint es, als würde sich eine innerliche Explosion in ihr vorbereiten, und doch kann sie nicht aufhören, es ist schön, heiß, unbekannt.
    Schläfrig und gleichzeitig rastlos treibt sie durch die nächsten Tage. In der Ferne das unentwegte Schnattern der Gänse, nachts bleibt sie lange wach. Als das Wetter umschlägt, Sommerstürme durch die Luft toben, beginnt sie von ihrem Bruder Elvis zu träumen. Wenn sie morgens erwacht, meint sie, ihren Bruder zu riechen, als würde er neben ihr liegen. Sie sieht ihn vor sich, sein Babylächeln, seine mit Flaum überwehte Babyglatze, sie stellt sich vor, über seinen kleinen Bauch zu pusten, ihn zu kitzeln, sie hört ihn vor Vergnügen glucksen. Sie bekommt ihren Bruder nicht mehr aus dem Kopf. Auch als sie wieder aufstehen darf, ist ihr, als würde sie ihn wie ein Sehnsuchtspaket mit sich herumtragen; der Geruch von Milch löst einen Brechreiz in ihr aus. Sie wird schon vor Sonnenaufgang wach, liegt da, ohne sich zu bewegen, wünscht sich, sie wäre eingefroren, unter einer eisigen Schneeschicht begraben. Sie muss ihren Bruder sehen, aber sie weiß nicht, wem sie sich anvertrauen kann. Sie versucht sich Fräulein Keulitz mitzuteilen, doch wie soll sie Sehnsucht erklären? Ihr ist zum Knochenkotzen, die Traurigkeit sitzt ihr wie ein bockiges Gefühl in der Brust. Sie hält es nicht aus, kann es nicht aushalten, und so

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