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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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und die Gestalt näher kam, da erkannte er sie. Marike. Sie ging im rot getränkten Hemd durch die Kirche und trug den Jungen auf dem Arm, den er doch in der Kapelle als letztes Opfer bereitgelegt hatte. Und auf dem Gesicht seiner Tochter brannte die kalte Glut eines Racheengels.
    »Du«, sprach sie mit einer so tiefen und zornerfüllten Stimme, wie der Vater sie von ihr noch nie gehört hatte, »du sprichst von Gerechtigkeit? Du sprichst von Sünde?« Er hörte, dass ihre Stimme zitterte – aber nicht vor Angst, sondern vor Wut. »Du«, stieß sie erneut aus und wurde immer und immer lauter, »wagst es, den Namen des Herrn in den Mund zu nehmen, sein Haus zu betreten, sein Angesicht zu suchen, nach allem, was du getan hast?« Die letzten Worte hatte sie herausgeschrien.
    »Marike«, lächelte Johannes Pertzeval verbindlich. »Was -«
    »Lügner«, sprach seine Tochter nun bedrohlich leise.
    »Was? Kind, du bist ja nicht -«
    »Ketzer.«
    »… bei Sinnen! Was redest du denn da?« Pertzeval rang um Fassung. Er starrte auf die Gemeinde in der Marienkirche, die so still war wie noch nie zuvor bei einer Predigt. Man konnte jedes Schaben, jeden Atemzug hören.
    In diese Stille hinein flüsterte Marike, seine eigene Tochter, nun leise: »Mörder.«
    Das einzelne Wort hallte durch die Kirche und drang bis hinter die letzte Säule. Warum tat sie das? Jetzt, da sein Werk kurz vor der Vollendung stand! Die Menschen starrten ihn an. Alle starrten sie ihn an, die Bürgermeister und Ratsherren – zumindest, was von ihnen übrig war -, die Domherren und Priester, die Schonenfahrer und Nowgorodfahrer und wo sie nicht alle hinfuhren, die Notare, die Knochenhauer, die Zimmerleute, Schuster, Schmiede und wie ihre Handwerke nicht alle hießen; ebenjene Männer und Frauen, die Sankt Marien ihr Eigen nannten und deren Gesichter von den Schrecken der Pest gezeichnet waren.
    »Marike«, keuchte Johannes Pertzeval. »Du redest wirr. Hast du nun auch das Fieber? Oder gar die Pest? Wir müssen dich -«
    »Wage es nicht!«, knurrte die junge Frau. Ihre Augen blitzten vor Hass, der ihm bis ins Mark fuhr. War das noch seine kleine Marike? Das Kind, das er so liebte und das ihn wiederliebte? »Wage nicht, mich eine Irre zu nennen, nach allem, was du getan hast!«
    »Getan? Kind, du bist ja toll!«
    »Sag es mir direkt ins Gesicht.« Marike trat näher, die bloßen Füße patschten leise auf dem Steinboden. »Sieh mir in die Augen und sage mir, dass du diesen Jungen nicht angerührt hast! Sage mir ehrlich, dass du ihm nicht die Arme aufgeschnitten hast, um ihn zum Tod zu verdammen! Er lag in Oldesloes Kapelle!«
    Die Menge schrak hörbar zusammen. Das war unerhört, das war schauderhaft, das war … faszinierend. Wie gebannt glotzten die Leute auf dieses Spektakel vor ihnen, die Münder geöffnet, die Augen aufgerissen.
    Johannes Pertzeval konnte nicht glauben, was seine eigene Tochter ihm in aller Öffentlichkeit an den Kopf warf. Sollte sie nicht erst zu ihm kommen? Hätte sie ihn nicht fragen können, was es auf sich hatte mit diesen Dingen? Er hätte ihr alles erklären können, im Geheimen, im Stillen. Doch nun blieb ihm nur eine Lösung des Dilemmas. Er sah Marike in die vor Wut sprühenden Augen, die sich in die seinen bohrten. Doch er konnte ihrem Blick nicht standhalten. Er sah auf seine Hände. »Du bist ja wahnsinnig.«
    »Ich -«, keuchte Marike vor ihm. »Ich bin wahnsinnig? Du hast mich verraten! Du hast alle verraten, die dir vertraut haben, ja selbst jene, für die du verantwortlich warst. Und das wofür? Vater, warum? Für einen Götzen?«
    Die Ansprache – Vater – bohrte sich in Pertzevals Herz wie ein Speer. Seine eigene Tochter führte Klage gegen ihn – vor der ganzen Stadt! Er sah auf und wollte etwas erwidern, wollte versuchen, sie zu beruhigen, um alles beizulegen. Doch Marikes weiße und rote Gestalt war nicht mehr das Aufsehenerregendste im Kirchenschiff.
    Eine Gestalt in Schwarz stand vor der Kapelle der Bergenfahrer, ihm direkt gegenüber am Ende der Haupthalle, hinter dem Taufbecken. Eine schwarze Robe wie ein Priester am Leib, über dem Kopf eine Kapuze, die kein Gesicht erahnen ließ. Kein Zeichen verriet die Identität des Fremden. Und doch wusste Johannes Pertzeval sofort, wen er vor sich hatte. Sein Herz frohlockte.
    »Ich wusste es! Ich wusste es!«, stammelte der alte Ratsherr durch einen kurzen Husten hindurch. »Ich wusste, du würdest kommen! Und ich wusste, du würdest das Opfer annehmen!« Das Raunen

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