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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Kirchenmitte stand, »unter so viel Leid, dass du es nicht mehr hörst. Aber es ist noch da!« Sein Blick flehte sie mit all seiner Seele an. »Du bist trotzdem noch du selbst, egal, was dein Vater getan hat. Aber wenn du nun Hand an ihn legst, Marike – dann hat er recht. Dann bist du nicht besser als er.« Damit trat er langsam beiseite und gab ihr den Weg frei.
    Marike fühlte die Leere beinahe körperlich, die sie noch von ihrem Vater trennte. Der schien vor Schreck beinahe so erstarrt wie die Leute unten im Kirchenschiff. In seinen Zügen stand Ungläubigkeit. Wie hasste sie das Gesicht, das sie doch einst geliebt hatte, zu dem sie aufgeschaut hatte!
    »Aber er hat es verdient«, hauchte Marike, der beinahe die Stimme versagte. »Er hat verdient zu sterben!«
    Notke stand einfach da, die Arme hingen herab. Auch er hatte Menschen verloren, und auch ihm standen Wut und Schmerz in den Augen, und er starrte auf ihre Füße. »Vielleicht«, sagte er nun. »Vielleicht hat er verdient zu sterben.« Dann sah er auf und traf ihren Blick ganz offen und ehrlich. Darin stand eine tiefe Verletztheit. »Aber wer bist du, dass du glaubst, darüber urteilen zu können?«
    Marike schwieg. Das waren einmal ihre eigenen Worte gewesen, und das wusste Bernt genau. Sie erinnerte sich an die Rechtschaffenheit, die sie im Rovershagen empfunden hatte, als sie Lynow vor den Fahrenden verteidigt hatte. War das der Grund, warum Lyseke sie gebeten hatte, zu bleiben, wie sie war? Sich ihr Mitleid zu bewahren? Wenn dem so war, hatte sie ihr Versprechen gebrochen. »Ich fühle nichts«, wiederholte sie.
    »Sieh mich an«, flüsterte Notke so eindringlich, dass Marike unwillkürlich aufsah.
    »Das Mädchen, das ich gemalt habe, ist noch da! Jene wunderschöne Frau mit dem Blick zu den Sternen gibt es noch, das weiß ich! Du hast sie vielleicht tief in dir verborgen. Doch es gibt sie noch.« Sie musterte ihn. Dieser Mann, den sie doch erst vor wenigen Wochen kennengelernt hatte, war ihr so vertraut wie niemand auf der Welt sonst. Sie kannte seinen Körper und erinnerte sich an seine weichen und doch fordernden Lippen, rief sich die Glut ins Gedächtnis, die er in ihrem Schoß entfacht hatte. Doch das alles waren nur körperliche Empfindungen, keine wahren Gefühle.
    »Sieh mich an, und sage mir, dass du jenes Mädchen nicht mehr in dir spürst, und ich will dir glauben«, sprach er sanft und trat näher.
    Die junge Frau sammelte ihre ganze Kraft, um ihm in die Augen zu sehen. Sie las ein Versprechen darin, eine Zärtlichkeit, die über Berührung hinausging. Sie wusste, dass dieser Mann sie verstand, mit all ihren guten und schlechten Seiten. Sie wusste, dass er sie liebte, mit seiner ganzen Seele liebte.
    Ihr liefen die Tränen schon über die Wangen, als sie den Mund öffnete, um zu antworten, doch die Worte kamen nicht über ihre Lippen. Sie fühlte, oh ja, und wie sie fühlte! Noch nie war sie so glücklich und verzweifelt zugleich gewesen wie in diesem Augenblick.
    »Ich liebe dich«, flüsterte Bernt Notke, doch seine strahlenden Augen sprachen noch so viel mehr aus.
    Marike nickte, denn sie wusste das längst. »Ich liebe dich auch, Bernt.« Sie öffnete die Hand, und die Klinge fiel klirrend auf den Boden. Dann lehnte sie sich an ihn und gab sich den Tränen hin. Endlich, nach so langer Zeit, konnte Marike von ganzem Herzen weinen. Sie trauerte um die verlorenen Menschen, trauerte um die Wahrheit, die noch vor wenigen Wochen so klar vor ihren Augen gestanden hatte. Sie biss sich in seinem Kragen fest, um nicht zu schreien. Sie schluchzte so hart, dass ihr Kopf schmerzte und sie keine Luft mehr bekam. Sie weinte um die Toten, die Lebenden – am meisten aber um ihren Vater, den sie in der letzten Nacht verloren hatte, als sei er selbst gestorben.
    Als seine Stimme wieder an ihre Ohren drang, wusste sie nicht, wie lange sie an Bernts Brust geweint hatte. »Ihr werdet mir dankbar sein«, keuchte Johannes Pertzeval. »Wenn ihr erst begreift, was ich für euch eigentlich getan habe, dann werdet ihr mir dankbar sein, ihr werdet es sehen!«
    Marike hob den Kopf und sah ihn mitleidig an. »Es ist vorbei.«
    Doch Johannes Pertzeval schüttelte wild den Kopf und wies auf den Schattenmann, der schweigend im Hauptschiff der Kirche innegehalten hatte und nun groß und schwarz über dem kleinen Jungen aufragte, der noch immer regungslos am Boden lag. »Wie kannst du sagen, dass es vorbei ist! Sieh doch mit deinen eigenen Augen! Der Tod ist gekommen

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