Das Mädchen und die Herzogin
Reuchlin um das Wohl an der fürstlichen Tafel sorgen.»
«Johannes Reuchlin? Der berühmte Gelehrte aus Pforzheim?»
«Ebender. Ein ganz außergewöhnlicher Mensch. Er ist Doctor der Rechte am Hofgericht und ein wichtiger Ratgeber des Herzogs. Alle hier in Stuttgart, ob Edler, ob Bürger, lieben und verehren ihn. Ah, da kommen die Doctores – gehabt Euch also wohl, Euer Fürstlich Gnaden.»
Unter tiefen Bücklingen zog er sich an seinen Tisch zurück. Währenddessen fanden auch die letzten Gäste zu ihren Plätzen. Nachdem Reuchlin einem Prälaten den richtigen Tisch zugewiesen hatte, trat er neben Sabina. Er war in fortgeschrittenem Alter, das wellige Haar ganz grau, aber noch voll. In jungen Jahren musste er für einen Mann ausnehmend schön gewesen sein. Seine feingliedrigen Hände waren es noch immer.
«Verzeiht vielmals mein Spätkommen, hochgeborene gnädigeFürstin. Willkommen in Eurer Herrschaft Wirtemberg.» Er verneigte sich galant. «Gestatten: Johannes Reuchlin, herzoglicher Rat und Anwalt beider Rechte, von nun an ganz zu Euren Diensten. Was auch immer Euer Anliegen ist – ich werde es zu erfüllen suchen.»
«Habt Dank, Herr Doctor. Es freut mich, auf einen solch namhaften Mann zu treffen. Übrigens besitze ich Euer lateinisches Wörterbuch und benutze es sogar.»
«Ihr seid firm in der lateinischen Sprache?»
«Nun ja, mehr recht als schlecht.» Sie lächelte.
Reuchlin nickte. «Wenn Ihr erlaubt, möchte ich nun Euer Hochgeboren die Tischnachbarn erklären, ganz ohne Formalitäten. Alsdann – Euch gegenüber», er deutete auf einen Geistlichen, der in dem einzigen Sessel bei Tisch eingesunken lag und zu schlummern schien, «seht ihr den Propst zu Ellwangen. Ein Bruder übrigens unseres Erbmarschalls und Landhofmeisters Conrad Thumb von Neuburg. Dessen Tochter, das gnädige Fräulein Ursula Thumbin, seht Ihr zu Eurer Linken an der Damenseite.» Der Gelehrte stockte, und Sabina glaubte einen Anflug von Ärger in seiner Stimme auszumachen.
«Daneben sitzt Elisabeth Markgräfin von Baden», fuhr Reuchlin fort, aber Sabina vermochte ihm kaum zu folgen. Diese Vielzahl von Namen und Gesichtern – wer sollte sich das alles merken? Endlich kam ihr freundlicher Gesprächspartner mit seinen Ausführungen zum Ende und zeigte auf einen Mann, der beim Herzog stand.
«Das dort ist Hans von Hutten, des Herzogs liebster Geselle von Jugend an und inzwischen Obriststallmeister. Er wird mit an unserem Tisch sitzen.»
Sie betrachtete den hübschen jungen Mann, dem Ulrich soeben den Arm um die Schulter legte. Jetzt begann Hansvon Hutten lauthals zu lachen, und Ulrich zog ihm scherzhaft am langen blonden Haar.
Das Schwatzen rundum verstummte, als der Hofgeistliche den Saal betrat. Er verneigte sich flüchtig, leierte in kaum verständlichem Gemurmel das Benedicite zum Segen der Speisen herunter und entfernte sich wieder. Ein Trompetenstoß schmetterte durch die kurze Stille – das Hochzeitsmahl war eröffnet.
Ulrich, als Gastgeber und Bräutigam, läutete die Tischglocke und erhob das Glas, in dessen Kristall sich die Strahlen der unzähligen Fackeln und Lichter brachen und das den Wein wie einen riesigen Rubin zum Funkeln brachte. «So danke ich allen, die uns heute die Ehre erweisen, an unserem festlichen Beilager teilzuhaben. Euch allen zum Wohle und meiner Gemahlin Sabina zum Willkomm.»
Er drehte sich zu Sabina, die sich ebenfalls erhoben hatte, stieß mit ihr an und küsste sie. Ihrem Blick wich er dabei aus.
«Das Brautpaar lebe hoch», brüllte der ganze Saal. Oben von der Empore setzte die Hofkapelle ein, und bei Harfen- und Lautenklängen defilierten die Diener mit ihren Speisen zur Tür herein, einer nach dem anderen, die Schlange nahm kein Ende. Jeweils drei Edle führten die Speisenträger an die einzelnen Tische, wo sie zu warten hatten, bis der Ranghöchste der Tafel den Befehl zum Absetzen der Speisen gab, nicht ohne dass jede Schüssel, jede Platte einmal unter die Nase des Herzogs gehalten wurde. Dann erst durften die Köstlichkeiten von einem der Grafen kredenzt werden. Ähnlich umständlich wurde der Wein aufgetragen und ausgeschenkt, jeder Fürstentisch hatte seinen eigenen Weinträger und Schenken. Und bei jeder Speisenfolge klopfte der Haushofmeister mit dem Stab auf, und das Spektakel begann aufs Neue.
Innerlich schüttelte Sabina den Kopf. Sie hatte schon etlicheFestbankette miterlebt, nicht nur in München, aber nie war es so übertreiben förmlich zugegangen wie hier.
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