Das Mädchen und die Herzogin
verbunden. Hinzu kommt, dass meine ganze Familie hier im Wirtembergischen lebt.»
«Eure Familie?»
«Ja. Meine beiden Brüder sind hier in Stellung, der eine als Hofrat, der andre als herzoglicher Jägermeister. Und in den kalten Monaten kommt meine Gemahlin mit den Kindern herüber, von Schloss Zwiefalten.»
«Eure Gemahlin –» Sabina sah, wie Ulrich gerade Fräulein Ursula etwas ins Ohr flüsterte und seine Hand auf deren Knie zu liegen kam. «Ja – Eure Gemahlin – ist sie denn nicht hier?»
«Leider nein. Sie ruht noch im Wochenbett, mit unserer kleinen Tochter. Der ersten nach zwei Buben.»
Der Ritter strahlte über das ganze Gesicht, was seine markanten Züge weicher erscheinen ließ.
«Meinen herzlichen Glückwunsch.» Mehr fiel ihr nicht ein. In diesem Augenblick sprang Ulrich unvermittelt auf und brüllte in die Runde: «Rührt euch – wir gehen hinauf in den Tanzsaal. Essen können wir später noch!»
Auch Sabina erhob sich. Dabei stieß ihr Handgelenk gegen das silberne Salzfässchen. Es fiel um, und der kostbare Inhalt ergoss sich über das samtene Tuch, weiß auf blutrot. Blitzartig verstummten die Gespräche rundum. Jeder hier wusste: Wer diesen edlen Stoff, der für Treue und Gastfreundschaft stand, verschüttete, dem würde ein ewig währender Streit ins Haus stehen. Es hieß, jedes Körnchen koste eine Träne. Sabina straffte die Schultern.
Schnell bot ihr Dietrich Speth den Arm.
«Darf ich Euch in den Rittersaal geleiten?»
Sie sah Ulrichs gerötetes Gesicht, das sich ihr zuwandte. Die Farbe seiner Augen spielte ganz plötzlich in ein dunkles Grün, und um die Pupillen begann es zu flackern. Dann fegte er mit einer einzigen Handbewegung das Salz samt dem kostbaren Fässchen zu Boden.
«Genau, worauf warten wir noch? Die Hofkapelle voraus, los, los. Und dann zum Tanz geblasen.»
Die Ritterstube, die über der Dürnitz lag, war zwar kleiner, dafür aber umso prächtiger: Drei Rundpfeiler trugen die flache Kassettendecke, die Wände waren teils vertäfelt, teils bemalt oder mit kostbaren niederländischen Wirkteppichen behängt, die Ansichten aus dem Alten Testament zeigten. Die unzähligen Kerzen der Wand- und Deckenleuchter spiegelten sich im Buntglas der Spitzbogenfenster und verliehen dem Saal etwas Anheimelndes, beinahe Tröstliches.
«Ein schöner Raum», sagte Sabina.
Dietrich Speth nickte. «Der schönste im Burgschloss. Doch nun verzeiht, Euer Liebden, wenn ich Euch lasse – der Tanz beginnt. Vielleicht findet sich später noch Gelegenheit zum Gespräch. Und wegen des Salzfässchens –», seine Stimme war jetzt leise, von beruhigender Wärme, wie einst die ihrer Mutter, wenn sie dem kleinen Mädchen gute Nacht sagte, «sorgt Euch nicht. Das ist nichts als alter Aberglaube.»
Bevor Sabina etwas erwidern konnte, zog Herzog Ulrich sie zu sich heran. Ein Cembalo setzte ein, und zu seinen Klängen eröffnete das junge Brautpaar den Tanz, unter Knicksen und Verbeugungen, die erhobenen Fingerspitzen graziös aneinandergelegt. Paarweise folgten die Gäste, ihrem Rang entsprechend und gemessenen Schrittes, jeder Tänzer, jede Tänzerin mit einem Fackelträger zur Seite, der den Ziegelbodenausleuchtete. Der gravitätischen Pavane folgte die lebhaftere Gaillarde, doch nur für kurze Zeit präsentierten sich die Tänzer ernst und honorig, in der Formation geordneter Reihen oder auch im anmutigen Pas de deux. Mit jedem leeren Weinkrug nämlich, der den Saal verließ, wurde die Stimmung ausgelassener und lauter, übertönten die lebhaften Pfeifer und Trommler das feine Cembalo, und schließlich bot sich dem Auge ein Gehopse und Gehaspel wie in einer Vorstadtspelunke. Den Damen wie den Herren rann der Schweiß von der Stirn, zwischen ihnen wirbelte der Hofzwerg in seinem bunten Schellenkostüm gleich einem Derwisch hin und her, die Fackeln irrlichterten unter der dunklen Decke.
Sabina tanzte längst nicht mehr mit ihrem Ehegenossen; mal war es ein keuchender Graf, mal ein junger Knappe in strahlendem Weiß, mal ein Kuttenträger, die sich an ihre Seite drängte, und einmal gar der fettleibige sächsische Kurfürst mit seinem vorwitzigen Backenbart. Doch zumeist waren ihr die Gesichter fremd, selbst denjenigen, die ihr bekannt vorkamen, konnte sie nur selten einen Namen zuordnen. Und der, nach dem sie Ausschau hielt, blieb verschwunden, von dem Augenblick an, als sie den Tanz eröffnet hatte.
Noch vor Mitternacht bat Sabina ihren Gemahl und ihre Familie, sich zurückziehen zu
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