Das Mädchen und die Herzogin
Herzog Ulrich schien auf beinahe lächerliche Art das Zeremoniell der italienischen Fürstenhöfe nachahmen zu wollen.
Andrerseits musste sie zugeben: Als Neuling auf dem Parkett der Reichsstände hatte ihr Gemahl erreicht, was zumindest in Baiern kein Mensch erwartet hätte. Ulrich hatte tatsächlich die führenden Köpfe des Heiligen Römischen Reiches in seinem kleinen Stuttgart versammelt: Gekommen waren, neben der Spitze der deutschen Geistlichkeit, die beiden Kurfürsten Friedrich von Sachsen und Ludwig von der Pfalz, ihr Schwager nun, dazu die mächtigen Herzöge von Baiern, Mecklenburg und Braunschweig, etliche Mark-, Pfalz- und Landgrafen, alle mit ihrem mehr oder weniger stattlichen Gefolge – von den Gelehrten und Professoren des Landes, den Vertretern der Städte und Ämter gar nicht zu reden. Wer immer von Rang und Namen war, gab sich hier ein Stelldichein. Der Kaiser selbst hätte dem Brautpaar seine Aufwartung gemacht, hätten ihn seine kriegerischen Auseinandersetzungen mit Venedig derzeit nicht völlig in Anspruch genommen. So überbrachten statt seiner drei hohe Gesandte Glückwünsche und Geschenke.
Das alles hatte sie während der Mahlzeit von dem liebenswürdigen Reuchlin erfahren, der sich jetzt um den Ellwanger Propst kümmerte, dem der Bratensaft noch in den Mundwinkeln stand. Das fette Essen schien dem geistlichen Herrn nicht zu bekommen, denn Reuchlin winkte einen der Diener mit den goldenen Handwaschbecken heran, um die glänzende Stirn des Propstes zu benetzen. Auch Sabina hatte mehr als genug, jetzt, nach der zwölften Speisenfolge. Zuletzt war es ein riesiger Fisch gewesen, in der Länge eines ausgewachsenen Mannes und umgeben von unzähligen glasiertenWachteln. Sechs Diener hatten den Fisch auf einem Brett hereingeschleppt und ihn unter dem Knattern und Zischen eines Tischfeuerwerks zerlegt.
Diesmal verweigerte Sabina den aufs Neue gefüllten Teller. Es war indessen nicht nur das üppige Festmahl, das ihr auf den Magen schlug. Sie fühlte sich gedemütigt durch Ulrich. Warum nur würdigte er sie keines Blickes mehr, tat geradeso, als sei der Platz zu seiner Rechten leer? Lachte stattdessen in die Runde und scherzte, mit jedem Schluck Wein fröhlicher. Da endlich gingen ihr die Augen darüber auf, was sich an diesem ihrem Tisch abspielte: Die hier zu ihrer Linken saß, jene Markgräfin Elisabeth, war niemand anderes als die Prinzessin, der Ulrich einst wie ein Hündchen hinterhergeschlichen war und deretwegen Sabina vergangenes Jahr vergeblich auf ihren Bräutigam gewartet hatte. Das also war die Frau, der Ulrich seine schmachtenden Liebeslieder gedichtet hatte, der er so lauthals seine Liebe geschworen hatte, dass es auf jedem Flugblatt im Lande nachzulesen und in den Gassen als spöttischer Gesang zu hören war. Diese Weibsperson nun hatte Ulrich ihr, Sabina von Baiern, der Herzogin von Wirtemberg, zur Hochzeit direkt vor die Nase gesetzt.
Doch es kam noch viel ärger. Was Sabinas Inneres am Ende zum Glühen brachte, war jenes junge Fräulein, das Ulrich am nächsten saß, jene Ursula Thumbin, Tochter des ehrenwerten Erbmarschalls. Sie war in etwa in Sabinas Alter, recht hübsch mit dem üppigen hellblonden Haar und ihrem runden, vollen Mund, dabei herausgeputzt wie ein Pfau. Sie schien die neue Favoritin zu sein, worunter auch Markgräfin Elisabeth ganz offensichtlich litt. Unablässig ruhten die großen kindlichen Augen des Fräuleins auf dem Herzog, der nach und nach in ihrem Blick zu versinken begann, wie die Kröte im Moorloch, und das Unerhörteste: Die gesamte Familie Thumb saß mitbei Tische und sah dem Treiben zu! Hätte Sabina nicht ständig einen der beiden Doctores als Gesprächspartner zur Seite gehabt – sie wäre aufgestanden und gegangen. Etikette hin, Etikette her.
«Es freut mich ungemein, liebe Ursula», hörte sie ihren Gemahl nun säuseln, «dass Ihr die kaiserlichen Gesandten in Eurem Hause aufgenommen habt. Wenn Ihr also noch Bettwerk benötigt oder Tafelsilber, sagt es frei heraus.» Er strich über ihre Hand. «Ich selbst werde mich darum kümmern.»
Sabina wusste genau um die Ehre, die es bedeutete, an die Fürstentafel geladen zu sein. Eine Ehre, die einem Grafen oder einem Geistlichen zukam, wenn er sich dem Landesherrn, dem Landeswohl in besonderer Weise verdient gemacht hatte. Oder auch einem Hofrat, der durchaus bürgerlicher Herkunft sein durfte. Hier aber thronten keine Ehrengäste, sondern die Angebeteten ihres Gemahls mitsamt deren Sippschaft.
Weitere Kostenlose Bücher