Das Mädchen und die Herzogin
gezwungen – ohne je über die Freiheiten und Mittel zu verfügen, die Männer in solchen Situationen ganz selbstverständlich für sich beanspruchten.
Marie und Vitus hingegen sind frei erfunden. Sie stehen für die vielen Namenlosen, die unter der Verschwendungssucht und Misswirtschaft ihres Landesherrn am meisten zu leiden hatten und deren Empörung zum ersten Bauernaufstand im alten Wirtemberg geführt hat, dem «Armen Konrad».
Über Ulrich Herzog von Wirtemberg ist sehr viel geschrieben worden, mal stellt er sich als prunksüchtiger Parvenü, als hitzköpfiger Tyrann und Mörder dar, mal als Bauernfreund und Befreier vom Habsburger Joch, mal als Festungsbaumeister oder als Stifter der Reformation in Wirtemberg – mit Wilhelm Hauffs «Lichtenstein» ist er gar, als edler Held, in die Weltliteratur aufgestiegen. Sabina hingegen wird in der Geschichtsschreibung höchstens am Rande erwähnt, und wenn, dann zumeist als zickiges, herzloses Mannweib. So wird sie in den Quellen als «heftig und grob» beschrieben, als «maskuline, herbe und streitlustige Person, nicht gewillt, klein beizugeben», «scharf mit der Rede, auch gegen Männer». Aber so hat man diejenigen Frauen, die nicht ganz in der ihnen zugedachten Rolle aufgingen, immer, bis in unsere Tage, beschrieben. Einzig eine Doktorarbeit von 1946, verfasst von einer Frau, hat der historischen Sabinagerecht zu werden versucht. (Frida Sauter: «Herzogin Sabine von Wirtemberg».)
Mein Roman endet mit Sabinas Rückkehr nach Wirtemberg und dem glücklichen Wiedersehen mit ihren Kindern und Dietrich Speth. Dieser Ritter aus altem oberschwäbischem Adelsgeschlecht und einstiger Gefolgsmann Herzog Ulrichs ist ebenfalls historisch belegt. Man weiß aus zahllosen Quellen, dass er immer an Sabinas Seite stand; nicht zuletzt hatte er auch ihre Flucht nach Bayern initiiert und durchgeführt. Schon zu Sabinas Lebzeiten kochte daher die Gerüchteküche. Man munkelte etwa, dass der Thronfolger ein Sohn Dietrich Speths sei. Ob hinter dieser engen und treuen Freundschaft tatsächlich eine heimliche Liebe gesteckt hat, ist historisch nicht eindeutig zu belegen, erscheint mir aber mehr als wahrscheinlich.
Mit Sabinas Rückkehr nach Urach war allerdings noch keinesfalls Ruhe in ihr Leben eingekehrt, etliche Schicksalsschläge sollten sie noch treffen.
So ging das verarmte Land nach Ulrichs Vertreibung nicht an Christoph, sondern über Sabinas Kopf hinweg gegen 220 000 Gulden Kriegskostenerstattung an die Habsburger, zunächst an Kaiser Karl, später dann an dessen Bruder, Erzherzog Ferdinand. Man verpflichtete sich zwar zu Sorge und Unterhalt Sabinas und ihrer Kinder – das hatte für Sabina aber nur ein weiteres Unglück zur Folge. Vier Wochen nach der Übergabe des Landes, im März 1520, wurde ihr der kaum fünfjährige Christoph gewaltsam entrissen und an den Habsburger Hof nach Innsbruck gebracht – weniger, um dort den Jungen standesgemäß zu erziehen, als um ihn, den Thronfolger, aus dem Weg zu räumen. Als man Sabina auch die siebenjährige Anna nehmen wollte, kämpfte sie wie eine Löwin – und setzte sich durch.
So verbrachte Sabina die nächsten vierzehn Jahre als landlose Herzogin im Schlösschen Urach, mehr oder weniger geduldet, in kümmerlichster Hofhaltung, da das Geld der versprochenen Apanage niemals eintraf. Immerhin hatte sie Dietrich Speth zur Seite, der sie, als kaiserlicher Rat und Obervogt, auch finanziell unterstützte. Über diese Jahre ist wenig bekannt. Man weiß aber, dass die Habsburger sie immer wieder außer Landes zu drängen versuchten, am Ende unter dem Vorwand, es sei ein Skandal, dass sie wie in einer Haushaltung mit Dietrich lebe, das Volk sänge schon Spottlieder von ihrem Liebesnest im Uracher Vogthaus! Spätestens da hatte sich Sabina wohl mit den neuen Lehren des Wittenberger Mönches vertraut gemacht.
Die fielen auch bei der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden. Überall strömten die Menschen in die lutherischen Gottesdienste, die Bauern forderten erneut ihre angestammten Rechte ein, diesmal unter dem Banner des wahren Glaubens, und die Stimmung kippte ins Antihabsburgische um. Die Wappen der ungeliebten Besatzer wurden mit Kot beschmiert, die Hirschstangen Wirtembergs, als heimliches Erkennungszeichen der Herzogstreuen, an Wände und Mauern gemalt, schließlich wünschte man sich lauthals Ulrich zurück, zumal der in seinem Mömpelgarder Exil eben erst die Reformation eingeführt hatte. Ulrich nutzte die Gunst der Stunde
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