Das Mädchen von San Marco (German Edition)
trug nur noch eine Bluse und ein Mieder, die kaum ihre Brüste bedeckten.
In der schwülen Hitze konnte Paul seine Maske kaum ertragen. Die schlecht sitzende Holzlarve drückte gegen seinen Nasenrücken und scheuerte an einer Wange. Er fühlte sich wie ein Verdurstender in der Wüste und vermochte an nichts anderes mehr zu denken als daran, wie gern er die Maske abnehmen würde. Doch es gab kein Entrinnen.
Mischen.
Aufdecken, um festzustellen, wer gibt.
»Ich habe eine Sechs.«
»Ich eine Sieben.«
»Ich eine Drei.«
»Ich auch.«
»Ich ebenfalls.«
»Ich habe eine Bildkarte.«
Dem Geber die Karten reichen.
Austeilen.
Eins, zwei. Eins, zwei. Eins, zwei. Eins, zwei. Eins, zwei. Eins, zwei.
Kelche. Münzen. Stäbe. Schwerter.
Sie setzten.
Noch einmal bekam jeder zwei Karten.
Und weiter. Und weiter.
Am Ende war es die Kurtisane, die als Erste kapitulierte.
»Zuanne, ich bedauere. Ich halte das nicht mehr aus. Ich muss die Maske abnehmen.«
»Was meint Ihr, meine Herren?« Memmo blickte in die Runde. »Bei einer Dame können wir, glaube ich, eine Ausnahme machen.«
Die Kurtisane hatte bereits begonnen, die Bänder zu lösen, mit denen die Maske an ihrem Kopf befestigt war. Sie ließ sich – sei es aus Gewohnheit, sei es absichtlich – viel Zeit dabei. Ihre müden Finger hantierten ungeschickt an den Knoten. Fast erwartete Paul, dass einer der anderen Spieler sich gegen die Entschleierung der einzigen Frau in ihrer Runde aussprechen würde, aber er irrte sich. Alle starrten sie nur gierig an. Auf einmal lag wieder Spannung im Raum. Die Männer sahen zu, wie sich die schönen, wohlgerundeten Arme hoben und senkten. Zwischen den Brüsten schimmerte ein Rinnsal aus Schweiß wie eine winzige silberne Narbe.
Endlich nahm die Kurtisane die Maske ab, löste die hornförmigen Haarteile, schüttelte den Kopf und fuhr sich erleichtert aufseufzend mit den Fingern durchs Haar. Als sie sich wieder den Männern zuwandte, glaubte Paul für einen Moment zu träumen. Die Art, wie sie das schwere Haar hob, um ihren Nacken zu kühlen, kam ihm so vertraut vor, dass sich sein Magen zusammenkrampfte. Er sprang auf.
Ein Glas, das neben ihm auf dem Tisch gestanden hatte, fiel auf den Boden und zersprang in tausend Stücke.
»Mein Gott … kann das sein …?«
Ihr offenes Haar schimmerte rötlich golden im Kerzenlicht und fiel in Wellen auf ihre Schultern. Doch im selben Augenblick wusste er, dass er sich geirrt hatte. Es war eine Fremde, die seinen Blick erwiderte, eine Frau, die er nie zuvor gesehen hatte. Es war nicht Celia Lamprey.
»Aber, Signore …« Die Kurtisane heftete die Augen zuerst auf Paul und dann auf das zerbrochene Glas. Jetzt, wo sie den Blicken der Männer ausgesetzt war, wurde sie sich plötzlich der Wirkung ihres Körpers bewusst und lächelte kokett. »Was ist mit Euch? Kennt Ihr mich?«
»Ich bitte um Entschuldigung, meine Dame.« Paul ließ sich auf den Sitz zurückfallen. War es die Müdigkeit gewesen? »Ihr seht jemandem sehr ähnlich – aber nein, ich glaube nicht, dass ich Euch kenne.«
Die Stimmung im Raum war wieder umgeschlagen. Die Spannung ließ sich nun mit Händen greifen. Paul versuchte, die Kurtisane zu ignorieren, um sich nicht ablenken zu lassen – der Wunsch, eine Frau beim Kartenspielen zu schlagen, ließ Männer stets leichtsinnig werden –, aber er konnte den Blick nicht abwenden. Ihre Ähnlichkeit mit Celia war geradezu unheimlich. War das ein Trick, um ihn aus dem Konzept zu bringen? Der Verdacht fraß sich wie ein kleiner Wurm in die hintersten Winkel seines Gehirns. Hatten Carew und Constanza mit ihrer Warnung letztlich doch Recht gehabt? Aber nein, das war unmöglich. Niemand in diesem Raum, niemand in ganz Venedig – Carew und Ambrose ausgenommen – wusste, wie Celia aussah.
Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau, die aussah wie Celia Lamprey, bei dem alles entscheidenden Spiel um den Blauen Stein des Sultans auftauchte? Der Gedanke surrte in seinem Kopf umher wie eine Fliege auf dem Fensterbrett. Einmal meinte er, einen heimlichen Blickwechsel zwischen Memmo und der Kurtisane bemerkt zu haben. Ein anderes Mal schien ihm der Mann mit der goldenen Maske der Komplizenschaft verdächtig.
Wenn er so weitermachte, würde er wahnsinnig. Es war unerträglich, er konnte weder frei atmen noch denken. Seine Maske machte ihn verrückt. Er musste sie einfach abnehmen, wenn auch nur für ein paar Momente. Paul entschuldigte sich und ging in das kleine
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