Das Mädchen von San Marco (German Edition)
saß, fuhr der Mann in höflichem Ton fort: »Ich hörte, dass der Cavaliere einen Käufer gesucht hat, aber niemand wollte ihm den Stein abkaufen.«
»Und ich habe gehört, dass er den Diamanten möglichst rasch loswerden wollte«, mischte sich der junge Adelige ein. »Er hat Angst, dass der Rat der Stadt von diesem ridotto erfährt. Manche behaupten sogar, der ridotto könnte jeden Moment geschlossen werden. Ihr wisst, wie es in Venedig zugeht. Alle wissen von dem Stein. Ich schätze, Memmo hat Angst, dass sie ihm auf die Schliche kommen, bevor er ihn loswird. Deshalb hat er das Spiel so hastig arrangiert.«
»Nicht schnell genug, wenn Ihr mich fragt. Wie lange will er uns noch warten lassen?«, beschwerte sich der ältere Adelige ungeduldig. »Wohin ist der Idiot verschwunden?«
Er drehte sich um und sah zur Tür, aber von Memmo keine Spur.
Die Spieler versanken erneut in Schweigen und betrachteten den Diamanten, der auf der schwarzen Tischplatte auf seinem Samtbett lag.
Einer der Spieler hatte, wie Paul, bisher noch kein Wort von sich gegeben. Der sechste in der Runde war ein dunkelhaariger junger Mann mit einer goldenen Maske, möglicherweise noch jünger als der unruhige Geselle, neben dem er saß. Er konnte seine Neugier nicht bezwingen und streckte die Hand nach dem Diamanten aus. Fast hätte er ihn angefasst, hätte die Kurtisane nicht erschrocken seinen Arm zur Seite geschoben.
»Seid Ihr noch bei Trost, Signore? Hat Euch niemand von dem Fluch erzählt?«, fragte sie entsetzt. »Nur der rechtmäßige Besitzer des Steines darf ihn berühren. Wenn ihn ein anderer anfasst, bringe es ihm sfortuna – Unglück, großes Unglück.«
»Ach, diese Altweibermärchen!«, bemerkte der Mann mit dem Siegelring abfällig.
»Wir kennen diese Geschichte alle«, sagte der Kaufmann. »Der Stein bringt der Person, die ihn besitzt, Glück oder Unglück – wer will das entscheiden?« Er zuckte die Achseln. »Aber Ihr solltet nicht alles glauben, was am Rialto erzählt wird.« Man konnte hören, dass er bei diesen Worten lächelte.
»Aber glaubt mir, es ist sfortuna , ich versichere es Euch …« Die Kurtisane zog die Hand vom Tisch.
Paul bemerkte, dass der junge Mann wie erstarrt auf seinem Stuhl saß und keinen Versuch mehr unternahm, den Stein zu berühren. Er fasste einen Entschluss. »Seht her«, forderte er die Umsitzenden auf, »ich habe keine Angst.« Er streckte den rechten Arm aus, nahm den Diamanten zwischen Daumen und Zeigefinger und legte ihn sich vorsichtig auf die ausgestreckte Linke. Er spürte ein schwaches Kribbeln. Die Kurtisane hielt schockiert den Atem an. Die anderen schwiegen betreten und beobachteten Paul argwöhnisch.
»Wenn wir diese Geschichten glauben – wer von uns soll den Stein dann überhaupt je berühren?«, fragte Paul seine Mitspieler. »Wer will entscheiden, wem ein solcher Stein gehören soll? Einer aus unserer Runde wird den Stein heute gewinnen, aber ist er damit der rechtmäßige Besitzer? Wir alle wissen, wie der Stein hierherkam – eine Spielschuld, behauptete Memmo –, aber woher hatte der Spieler ihn, der ihn verlor? Ihr habt Recht, mein Herr, wenn Ihr sagt, der Stein sei von unschätzbarem Wert«, wandte er sich an den Mann mit dem Siegelring. »Es heißt, prächtige Edelsteine wie dieser würden selten auf dem Markt gekauft und verkauft. Sie werden verschenkt. Oder, was wahrscheinlicher ist, mit Gewalt genommen. Und glaubt Ihr etwa, Memmo würde uns die Wahrheit sagen, selbst wenn er sie wüsste?«
Der Stein blitzte bläulich und geheimnisvoll auf seiner Hand. Paul strich mit dem Finger über die winzige arabische Inschrift. »Hier steht A’az ma yutlab, mein Herzenswunsch.«
Einige Minuten lang sagte niemand etwas.
Dann brach der junge Edelmann mit einem künstlichen Lachen das Schweigen. »Seht an, der englische Kadaver hat tatsächlich eine Stimme.«
»Kein Kadaver, sondern ein Philosoph«, korrigierte der ältere Mann und nahm Paul interessiert in Augenschein.
»Was wollt Ihr damit andeuten, Signore?«, fragte die Kurtisane. Sie hob ihren Schleier und fächelte sich träge Luft zu. »Ihr wollt doch sicher nicht vorschlagen, dass wir den Diamanten dem Großtürken zurückgeben?«
»Nein, Madame«, entgegnete Paul brüsk. »Der Großtürke hat schon genug in seinem Besitz, was ihm nicht gehört.«
Seine Hand zitterte. Prosperos Worte fielen ihm ein: Man sagt, dass Edelsteine weiterwandern. Es hat keinen Sinn, nach dem Warum zu fragen oder es verhindern
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