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Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Titel: Das Mädchen von San Marco (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katie Hickman
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zu wollen . Paul starrte auf den Diamanten. Würde er bei ihm bleiben? Er hatte alles auf ihn gesetzt, seinen gesamten Besitz. Aber was empfand er jetzt? Das Kribbeln hatte aufgehört. Er empfand gar nichts. War er verrückt, wie Carew immer meinte? Vielleicht. Ein Stein konnte ihm Celia nicht zurückbringen. Wie hatte er das nur glauben können? Ein furchterregendes, böses Leuchten schien plötzlich von dem eisblauen Diamanten auszugehen, wie von einem lebendigen Wesen. Rasch legte Paul ihn auf seine samtene Hülle zurück.
    Die anderen Spieler wandten sich der Tür zu. Memmo war eingetreten.
    »Seid Ihr bereit?«
    Ein Diener raffte den schweren Vorhang vor der Durchgangstür und die Spieler standen auf, um Memmo in den Spielsaal zu folgen.
    »Aber, Signore«, flüsterte die Kurtisane Paul im Gehen zu, »wenn es stimmt, was Ihr sagt, was sollen wir dann tun?«
    »Wir tun das Einzige, was wir können. Wir spielen Karten.« Paul nahm einen tiefen Atmenzug. »Lassen wir Fortuna entscheiden.«
    Es gab kein Zurück mehr.

Kapitel 35
    Später konnte Paul sich nicht mehr erinnern, wie lange sie gespielt hatten. Es mochten zwei, genauso gut aber auch drei volle Tage und Nächte gewesen sein. Er bezweifelte, dass irgendeiner von ihnen außer Zuanne Memmo es hätte sagen können.
    In der Welt jenseits des schönen, hohen Raums mit seinen spiegelverglasten Wänden musste das Leben weitergegangen sein wie immer, in dieser Welt, in der die Sonne auf- und unterging, Kaufleute ihre Geschäften tätigten, Schiffe andockten und ablegten. Dieser Welt, in der Frauen und Männer einander begegneten, sich verliebten, starben. Doch in Zuanne Memmos ridotto war es immer Nacht, die schweren Samtvorhänge blieben stets geschlossen, und ständig brannten tausend Kerzen.
    Am ersten Abend glaubte Paul noch ein Gefühl für die natürlichen Rhythmen seines Körpers zu haben. Dachte, er wüsste, wann sein Körper etwas zu essen oder zu trinken oder Schlaf brauchte. Doch bald verlor er jedes Gefühl für seine körperlichen Bedürfnisse und gab sich mit Leib und Seele den Karten hin, die ihm das Hirn benebelten und die Seele zermalmten.
    Aufdecken. Setzen. Tauschen. Legen. Mitgehen. Aussteigen. Überbieten.
    War er glücklich? Er wusste es nicht. Er konnte nicht denken.
    Er lebte. Das war genug.
    Mischen.
    Aufdecken, um festzustellen, wer gibt.
    »Ich habe ein Ass.«
    »Ich eine Vier.«
    »Ich eine Bildkarte.«
    »Ich auch.«
    »Ich auch.«
    »Und ich eine Sieben.«
    Die Karten an den Geber weiterreichen, den mit der Sieben.
    Austeilen.
    Eins, zwei. Eins, zwei. Eins, zwei. Eins, zwei. Eins, zwei. Eins, zwei.
    Kelche. Münzen. Stäbe. Schwerter.
    »Passe.«
    »Passe.«
    »Passe.«
    »Ich setze hundert Dukaten.«
    »Weg.«
    »Weg.«
    »Ich auch.«
    »Das muss ich mir anschauen. Gebt.«
    Der Geber teilt weitere Karten aus.
    Eins, zwei. Eins, zwei. Eins, zwei. Eins, zwei. Eins, zwei. Eins, zwei.
    Jetzt hat jeder Spieler vier Karten.
    »Ich will sehen, wie viel Ihr habt.«
    »Seht hier. Lasst alle sich beteiligen.«
    »Ich muss wieder passen.«
    »Ich auch.«
    »Und ich.«
    »Ich setze alles.«
    »Ich will sehen.«
    »Da kann ich nicht mithalten.«
    »Es war eine primiera .«
    »Ich hatte einen fluxus .«
    Und so weiter und so fort. Von Zeit zu Zeit kam Bewegung in die Sache. Statt einer primiera, einer Karte von jeder Farbe, gab es einen supremus oder einen numerus oder einen fluxus . Nur das höchste Blatt, vier Karten gleichen Werts – ein chorus  –,war keinem von ihnen vergönnt.
    Die ganze Zeit über wuchs und schrumpfte der Dukatenstapel vor jedem Spieler wie der Wasserspiegel im Meer, der sich im Lauf der Gezeiten hebt und senkt.
    Gelegentlich brachte ein Lakai eine Platte kaltes Fleisch, etwas Brot und Obst, ein Glas Wein. Gelegentlich entfernte sich der eine oder andere Spieler für ein paar Minuten, um sich auf dem po hinter der Tür zu erleichtern. Weitere Diener kamen herein, um die verlöschenden Kerzen zu ersetzen oder die Binsenmatten auf dem Fußboden zu befeuchten. Bei diesen Gelegenheiten entspannen sich halbherzige Gespräche unter den Spielern. Als Paul einmal sein Kompendium herausnahm, fiel ihm auf, dass die anderen ihn neugierig ansahen.
    »Was habt Ihr da? Ist das Euer Glücksbringer, Engländer?« Der ältere Aristokrat mit dem Daumenring lehnte sich zu ihm hinüber.
    Paul küsste die Messingverkleidung mit den verschlungenen Lampreten und steckte das Gerät kommentarlos fort.
    »Zwei Aale! Ich hoffe, die bringen Euch

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