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Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Titel: Das Mädchen von San Marco (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katie Hickman
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wurde ihm klar, dass der Dolch nicht das Einzige war, was er zurückgelassen hatte. Im Gegensatz zu Ambrose, der sich gut gegen den Regen geschützt hatte, war Paul hemdsärmelig unterwegs. Er hatte bei seinem überstürzten Aufbruch den Rest seiner Kleidung in Memmos ridotto vergessen – sein Wams und die Ärmel, sogar den Hut.
    Die Engelstränen drangen langsam, aber sicher in sein dünnes Batistunterhemd ein. Es würde nicht lange dauern, und er wäre vollkommen durchnässt. Doch Paul achtete nicht auf die Nässe, und zudem gab es kein Zurück mehr. In seiner Betäubung zweifelte er daran, ob er jemals in der Lage sein würde, den geheimnisvollen Spielsalon wiederzufinden. Zuanne Memmos ridotto erschien ihm auf einmal so unwirklich wie ein untergegangenes Land aus der Phantasie der Seeleute: ein Ort zerschmetterter Träume, von Phantomen bevölkert.
    Ambrose immer ein Stück vor sich, aber in Sichtweite, stolperte Paul weiter und stand plötzlich auf einem großen Platz, der leer wirkte. Der Nebel war so dicht, dass er eine Weile brauchte, um zu begreifen, wo er sich befand: vergoldete Kuppeln, Mosaiken, aufblitzendes Rosa und Weiß – es musste der Markusplatz sein.
    Irgendwo in der Nähe erklang Musik, zwei Zimbeln, eine Rohrflöte, eine Trommel. Die schwermütige Melodie wurde vom Nebel halb verschluckt. Am Kanalufer hatten sich einige Zuschauer versammelt, in lange schwarze Mänteln gehüllt. Ambrose näherte sich der Gruppe und Paul folgte ihm, ohne sich aus der Deckung zu begeben.
    Vor dem Dogenpalast gab eine Gauklertruppe eine Vorstellung. Paul hatte schon viele solcher Truppen auf Jahrmärkten erlebt – Musikanten und Akrobaten, Zauberer und Gewichtheber und einmal sogar einen Drahtseilartisten. Alle landeten irgendwann in der Serenissima. Ambrose, der jetzt entschlossen auf eine am Kai vertäute Gondel zusteuerte, musste dicht an ihnen vorbei. Paul, der Ambrose immer noch beschattete, folgte der Musik ebenfalls bis zum Kanal, wo das Wasser der Lagune gegen die Steinbefestigung plätscherte.
    Zu den Gauklern gehörte eine Gestalt, die Pauls Blick wie magisch anzog. Es war eine Frau mit einem schmalen, traurigen Gesicht, das sie mit Kalk oder Puder weiß bemalt hatte. Sie trug ein Gewand aus leuchtend buntem Stoff, das über und über mit Silberpailletten bestickt war. Zunächst hielt Paul sie für eine Tänzerin, doch als er näher kam, sah er, dass sie die kleine Zuschauermenge immer wieder umkreiste, mit seltsam geschmeidigen Bewegungen über den Boden gleitend, nicht gehend, nicht tanzend, sondern vielmehr so, als habe sie gut geölte Räder unter den Füßen.
    Der Nebel begann sich zu lichten, wässrig gelbe Sonnenstrahlen durchbrachen das Weiß. Sie fingen sich in den Pailletten, mit denen das Gewand der Frau bestickt war, bis ihre Gestalt zu strahlen schien wie ein engelsgleiches Wesen.
    Sogar Ambrose ließ sich von diesem erstaunlichen Anblick zu einem kurzen Halt hinreißen und beobachtete die Frau im Paillettenkostüm einige Minuten lang interessiert. Paul tat es ihm gleich, und dann sah er, dass die Gauklerin beim Umkreisen der Menge auf mysteriöse Weise Gegenstände auftauchen und wieder verschwinden ließ.
    Aus dem Gewand eines Zuschauers und dem Ärmel eines anderen zog sie Federn, Blumen und Obststücke hervor. Aus dem Taschentuch einer Frau pflückte sie eine Rose. Zwei Männern, die direkt vor Ambrose standen, entlockte sie ein paar bestickte Taschentücher, die sie nacheinander in ihre Faust stopfte und dann mit einer schnellen, gewandten Bewegung wieder hervorzog – als einen einzigen flatternden Regenbogen aus Seide. Einem kleinen Kind, das mit seiner Mutter in der ersten Reihe der Zuschauer stand, zauberte sie hinter jedem Ohr ein Ei hervor. Dann warf sie beide Eier in die Luft, ließ sie wieder verschwinden und holte sie schließlich aus dem Schoß eines anderen Kindes hervor, wo sie sich in Form zweier leise piepsender Küken materialisiert hatten.
    Die Musik wurde lauter und der Trommelrhythmus schneller. Die Frau blieb vor Ambrose stehen. Sie streckte den Arm aus und nahm etwas aus seinem Turban. Ambrose hob die Hand, als ob er sie abwehren wollte, doch sie war zu schnell. Sie hielt etwas in der Hand, das sie den Zuschauern zeigte. Paul reckte den Hals, doch die Menge verdeckte ihm die Sicht. Dann fiel sein Blick auf Ambrose. Dessen schreckensstarres Gesicht verriet ihm unmissverständlich, was die Frau in den gelben Falten seines Turbans gefunden hatte. Die

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