Das Mädchen von San Marco (German Edition)
würde ihm versagen.
»Sie sagt, es ist, weil ich das Papier dem Falschen gegeben habe«, fuhr Eufemia mit ihrer hohen Stimme fort, »diesem großen fetten Kerl mit dem verrückten gelben Hut, der gesagt hat, dass er Euch kennt. Dem mit der Nase, die aussieht wie ein preisverdächtiger zucchino. Er hat mich reingelegt« – ihre Augen wurden schmal –, »er hat mich dazu überredet, es ihm statt Euch zu geben, und jetzt sagt sie, sie kann das Versprechen, das sie ihrer Freundin gegeben hat, nicht halten … Aber als Ihr nicht gekommen seid und sie nicht gewusst hat, wie sie Euch finden soll … na ja, aber das war nicht der einzige Grund für ihre Tränen.«
»Bitte, suora … Eufemia …, könnt Ihr sie holen?«, unterbrach Carew ihren Wortschwall. »Ich habe Neuigkeiten für sie, die ihre Freundin betreffen.« Er sah die junge Nonne aufmunternd an. »Und für Euch auch.« Er griff in sein Hemd. »Ich habe das Papier dabei, um ihr zu beweisen, dass ich es ehrlich meine.«
Eufemia musterte ihn misstrauisch. »Wie habt Ihr es an Euch gebracht?«
»Dieser Mann, der mit der Nase wie ein preisverdächtiger zucchino« , sagte Carew ernst, »hat mir das Blatt zurückgegeben. Sozusagen.«
»Also gut, ich hole sie«, entschied Eufemia plötzlich. Sie wandte sich um und gab ihm ein Zeichen, ihr in den Hof zu folgen. »Aber eins sage ich Euch, Signor, ich würde das für keinen anderen tun.«
Carew folgte Eufemia in den Hof und durch einen von Säulen gesäumten Korridor in den Besucherraum. Er sah das Eisengitter, das das Empfangszimmer vom Besuchszimmer der Nonnen trennte, und erinnerte sich an sein letztes Gespräch mit Annetta. Zu seiner Überraschung machte Eufemia keine Anstalten, ihn dort warten zu lassen, sondern winkte ihn durch die achtlos geöffnete Tür in den inneren Bereich des Klosters.
Erst da merkte Carew, dass im gesamten Kloster eine eigenartige Stille herrschte. Normalerweise war immer ein geschäftiges Treiben zu bemerken – educande liefen lachend durch die Flure, Wasser rann plätschernd in den großen Garten hinter den Mauern, die Nonnen waren mit ihren Hacken und Wasserkannen beschäftigt, aus der nahegelegenen Küche drang der Duft nach brutzelndem Fleisch und Zwiebeln. Jetzt dagegen lag eine düstere, dumpfe Atmosphäre über dem Ort.
Sie trafen auf niemanden, und die kleine Nonne wirkte sehr einsam, als sie durch die beiden Empfangszimmer hastete und ihre Holzschuhe auf dem Steinboden laut klapperten. Etwa in der Mitte des Gebäudes gelangten sie zu einer offenen Tür, vor der sie stehen blieben. Carew blickte hindurch und erkannte, dass sie ihn an einen Ort gebracht hatte, den er bei seinen nächtlichen Wanderungen aus unerfindlichen Gründen nie betreten hatte.
Das Refektorium war groß und besaß eine hohe, mit dunklem Holz verkleidete Decke. Ein einfaches Kruzifix hing an der Wand gegenüber der Tür, und darüber, fast in den Dachsparren, eine wenig ansprechende Darstellung des letzten Abendmahls. In der Mitte des Raums standen sich in einigem Abstand zwei Bischofsstühle mit hohen, beschnitzten Lehnen gegenüber. Zwischen ihnen lag halbverbranntes Stroh, so als hätte hier kürzlich eine Unterredung stattgefunden.
»Ihr müsst hierbleiben, bis sie kommt.« Eufemia wies auf den Stuhl, der der Tür am nächsten stand. »Ihr rührt Euch nicht vom Fleck, capisce? «
»Capisco.«
Carew setzte sich auf die Stuhlkante und sah sich um. An drei Seiten des Raums waren lange Tafeln aufgebockt. Vor jedem Gedeck standen ein kleiner Tiegel Salz und eine Flasche Olivenöl, doch damit endete die anheimelnde Häuslichkeit auch schon. Als er näher hinsah, bemerkte er, dass die weißen Tischtücher fleckig waren und dass Brotreste, Überbleibsel einer lange vergangenen Mahlzeit, verstreut an den Kopfenden der Tische lagen. Kleine braune Spatzen flogen piepsend zwischen den Dachsparren umher und stürzten sich ungehindert auf die Krümel.
Es schien kaum möglich, dass sich innerhalb weniger Tage so viel verändert haben konnte. Carew fragte sich, wie er sich verhalten sollte, wenn eine der anderen Nonnen hereinkäme und ihn hier sitzen sähe, doch obwohl er angespannt lauschte, drangen keinerlei menschlichen Geräusche, nicht einmal Fußschritte oder Stimmen, an sein Ohr.
Schließlich hörte er, wie am anderen Ende des Raums eine Tür geöffnet wurde. Und als er aufblickte, stand sie da. Ihr zarter Teint war etwas blasser als gewöhnlich. Sie trug die schwarze Tracht, nicht aber ihre
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