Das Mädchen von San Marco (German Edition)
Zuanne Memmo warnen. Doch jetzt war nur eines von Bedeutung: dass sie ihn ihr Glück nie sehen lassen durfte, ihm nie zeigen durfte, dass sie bei seinem bloßen Anblick am liebsten vor Freude geweint hätte. Diese Lektion hatte ihre Mutter sie vor vielen Jahren gelehrt. Sie hatte sie unter vielen Schmerzen gelernt und nie mehr vergessen. Niemals durfte man einem Mann offenbaren, was man für ihn empfand, ob man ihn begehrte oder verabscheute. Gefühle mussten immer hinter der Maske der Kurtisane verborgen bleiben. Darauf allein beruhte ihr Erfolg.
Also setzte Constanza ein verführerisches Lächeln auf und ließ sich wieder in die Kissen sinken. »Ich nehme deinen Spinell mit großer Freude entgegen.« Sie klopfte auf die Matratze neben sich. » Vieni, mein Liebling.« Sie legte die Hände hinter den Kopf, sodass das camice von einer ihrer wohlgeformten Brüste rutschte, und blickte ihn verheißungsvoll an. » Vieni da me, Paul, mein Liebling. Ich denke, du wirst feststellen, dass auch ich mein Gewerbe vorzüglich beherrsche.«
Kapitel 7
Die Hochzeitsgesellschaft war endlich eingetroffen.
Annetta sah mit zwei anderen Chornonnen, Suor Ursia und Suor Francesca, sowie der jungen conversa Eufemia zu, wie die kleine Flotte von Gondeln langsam auf die Insel zuhielt.
»Meinst du, sie sind es?«
»Ja, schau nur, sie kommen!«
»So viele Menschen, das müssen sie sein!«
Die vier hatten ihren Ausguck in einem der Schlafsäle im Obergeschoss bezogen, die gewöhnlich von den educande bewohnt waren. Mit Hilfe von drei Bänken, die sie übereinandergestellt hatten, waren sie an ein Fenster hoch oben in der Mauer gelangt. Von hier aus hatte man, wie die jüngeren Nonnen wussten, den besten Blick in nördlicher Richtung über die Lagune hinweg zur Giudecca und auf Venedig – und vor allem auf alle Boote oder Gondeln, die sich dem Kloster näherten.
»Runter mit euch, lasst mich mal!« Annetta schob die anderen Schwestern fort. »Ich habe etwas mitgebracht.«
Sie zog einen kleinen, mit Chagrinleder bezogenen Zylinder aus der Tasche, ungefähr so groß wie eine Kinderflöte vom Jahrmarkt. Ungeduldig scheuchte sie die anderen von der Bank und stellte sich selbst ans Fenster.
»Was ist das? Was hat sie da?« Suor Eufemia, mit ihren höchstens dreizehn Jahren die jüngste von ihnen, hopste von einem Fuß auf den anderen.
»Es nennt sich Fernglas, und schrei nicht so, sonst ist Suor Margaretta im Nu hier oben und erwischt uns.« Annetta legte den Zylinder an ein Auge und blinzelte hindurch. Zuerst war sie von den Lichtreflexen auf dem grünen Wasser der Lagune geblendet.
»Du warst wieder in Suor Purificacions Zimmer, nicht?«, wollte Ursia wissen.
»Gestohlen hast du’s«, grummelte die unansehnliche Francesca missmutig.
»Nicht gestohlen, nur geliehen.« Annetta schwenkte das Fernglas langsam über die Lagune. »Morgen gebe ich es dem alten Sauertopf … oh!«
»Was?«
»Es funktioniert! Ich kann sie sehen, ich kann sie wirklich sehen!«
»Gelobt sei Gott! Du hast mich zu Tode erschreckt!« Suor Eufemia legte die Hand auf die Brust. »Siehst du, wie mein Herz pocht?«
Suor Francesca zupfte an Annettas Ärmel. »Lass mich, lass mich, schließlich ist sie meine Nichte!«
»Nur Geduld.«
Durch die kreisrunde Öffnung des Fernrohrs erblickte Annetta jetzt mehrere, mit bunten Bändern festlich geschmückte Boote, in denen ungefähr zwanzig Personen dicht gedrängt saßen. In einem befand sich die Braut, Francescas Nichte Ottavia, ehemals eine educande im Kloster, und ihre beiden Ehrenjungfrauen, die an den offenen Haaren leicht zu erkennen waren. In den anderen Booten saß der Rest der Gesellschaft, vorwiegend junge Männer und Frauen, die das Brautpaar bei ihren Hochzeitsbesuchen begleiteten.
»Sie sind da!« Auch Annetta spürte jetzt ein Flattern in der Magengrube. Im nächsten Moment ließ sie fast ihr Fernglas fallen. »O nein!«
»Was? Was ist?«, quietschte die kleine Eufemia mit ihrer hellen Stimme.
»Sei doch still, Eufemia! Und hör auf, an mir zu zerren, Franca!« Gereizt trat Annetta nach Francesca. »Du kommst schon noch an die Reihe. Es ist nur … Madonna!« Sie duckte sich und drückte sich gegen die weiß gestrichene Wand. »Er sieht genau zu mir herüber.«
»Wer denn? Wer kann dich hier sehen? Ich dachte, du hast gesagt …«
»Femia! Ich verpasse dir gleich eine Ohrfeige«, zischte Annetta. »Aber nein, das ist ja lächerlich.«
Sie richtete sich auf und hielt das Fernglas wieder ans
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