Das Maedchengrab
sich.
Hannes lächelte. »Du hattest ja im Schuppen deine Schlafkammer.«
»Die vorher deine war.« In Fines Augen traten wieder Tränen. Denn wenn Hannes auch ein Verbrecher war, so fühlte sie sich doch mit ihm verbunden wie mit einem älteren Bruder.
»Wenn ich meine Strafe abgesessen habe, wollen Yvonne und ich heiraten«, fuhr er fort. »Sie hat einen kleinen Hof geerbt. Dort musst du uns dann besuchen kommen.«
Fine versprach es. Zum Abschied hielten sie einander lange an den Händen. Dann ging sie, und ihr wurde es schwer ums Herz.
In der Woche darauf kehrte Ullas Leichnam von der Bonner Universität zurück. In allen Ehren wurde sie begraben, nicht weit von Lisbeths und Bärbels Gräbern entfernt.
Das ganze Dorf kam zusammen, sogar die Eltern von Lisbeth und die Mutter von Bärbel. Denn wenn auch schlimme Dinge über ihre Töchter ans Tageslicht gekommen waren, so überwog doch die Erleichterung über die gefasste Mörderin.
Fine horchte genau hin. Wie sprachen die Menschen über Marjann? Würden sie sagen, dass sie es ja schon immer gewusst hatten? Dass Marjann nicht nur eine Eigenbrötlerin war, sondern eine böse Hexe? Doch es fiel kein Wort über die alte Frau.
Als der Vikar die letzten Worte für Ulla sprach, schaute Fine hinüber zum Grab von Marjanns drei Töchtern. Sechs Mädchen lagen hier nun nah beieinander, deren Schicksale eng miteinander verknüpft waren.
Nach der Totenfeier ging Fine zum Schindacker. Sie erkannte gleich das Viereck von frischer Erde, wo Marjanns verkohlter Körper verscharrt war. Unter den Buchen lag die alte Frau, neben ihrem Berthold, den sie schon vor vielen Jahren verloren hatte. Fine konnte sich gut erinnern, wie sie als Kind zu Allerheiligen hier gewesen war und Marjann ihrem Mann eine Kerze gebracht hatte, obwohl er in ungeweihter Erde lag. Nun kniete Fine nieder und sprach eine Fürbitte, dass trotz allem die Seelen der beiden erlöst werden mögen.
Es verging eine weitere Woche, angefüllt mit harter Arbeit, denn der Hochsommer bahnte sich seinen Weg. Doch dann, eines Nachmittags, ließ der Oberlandbauer Fine in seine Wohnstube rufen. Sie wunderte sich, denn auch die Bäuerin und die jüngeren vier Kinder waren zugegen.
»Ich hörte, du sprachst neulich mit einem Schimmelreiter, den du durch Zufall auf der Straße trafst«, hob der Bauer an. Seine Stimme klang streng, aber auf andere Weise, als Fine es gewohnt war. »Das war unschicklich von dir«, fuhr er fort, »und ich sollte dich dafür strafen. Aber in diesem Fall ist es wohl anders. Denn ich habe eine Überraschung für dich.«
Und in dem Moment, als Fine begriff, trat er auch schon hinter einem Vorhang hervor: ihr unbekannter Reiter! Noch schöner und strahlender, als sie ihn in Erinnerung hatte.
»Dies ist mein Neffe Damian Durlacher«, sagte der Bauer stolz. »Der Sohn meiner Schwester, die als junge Frau ins Badische geheiratet hat. Er ist dem klugen Rat seiner Mutter gefolgt und hat sich umgesehen nach einem Mädchen aus der Eifel. Und glaube mir: Wir haben von seinem Besuch im Dorf nichts gewusst. Aber selbst, wenn wir ihn gesehen hätten: Erkannt hätten wir ihn nicht, denn in den letzten Jahren ist ein kräftiger, junger Mann aus ihm geworden.«
Als Damian sich nun vor Fine verbeugte, hätte sie aufschreien mögen vor Glück und Seligkeit.
Er blickte in ihre Augen, und ihr war, als blickte er ihr direkt ins Herz. »Ich habe auf meiner Reise viel gesehen«, sagte er. »Aber immer habe ich dein Bild in mir getragen, denn du hast mich von Anfang an gefangen genommen. Du stammst aus dem Heimatdorf meiner Mutter, und nun habe ich auch erfahren: Du hast todesmutig eine Mörderin gestellt. Doch selbst, wenn alldem nicht so wäre, möchte ich dich näher kennen lernen.«
Fine konnte nur noch nicken, Worte brachte sie keine mehr hervor. Damian küsste sie auf die Wangen. Als er sie dann anlächelte und für alle Umstehenden das Rot auf Fines Wangen sichtbar war, jubelten die Kinder.
Schon am folgenden Tag trat Damian auf seiner Stute die Heimreise an, denn seine Eltern erwarteten ihn. Fine blieb zurück, und auch wenn die Sehnsucht ihr Herz zerriss, war sie doch überwältigt von Glück und Wonne. Schon im Oktober wollte die Bauernfamilie auf Besuch zum Durlacherhof nach Ettlingen reisen, und Fine durfte mitkommen.
Basti freute sich aus tiefstem Herzen mit seiner Schwester. »Wenn ihr zusammen bleibt, dann heiratest du reich. Du kommst vom Schwarzen ins Weiße. Der Hof hat viel Vieh, und alles
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