Das Maedchengrab
Wendung
Die Mittagssonne drang durch das Fenster der Krankenstube auf dem Oberlandhof. Fine wachte benommen auf. Sie brauchte einige Minuten, um zu sich zu kommen.
Am Bett saß die Bäuerin, einfühlsam reichte sie einen Becher mit Wasser. »Wir haben gestern den Arzt kommen lassen. Du warst gerade dabei, aus der Ohnmacht zu erwachen, da hat er dir ein paar Tropfen Opiumtinktur gegeben, damit du weiterschlafen konntest. Aber das hast du wohl gar nicht mitbekommen.«
»Nein. Davon weiß ich nichts.« Fine trank den Becher leer.
»Und?«, die Bäuerin nickte ihr liebevoll zu. »Kannst du dich an gestern erinnern?«
»An jede Einzelheit.« Während sie zur Zimmerdecke schaute, ließ Fine sich zurück aufs Kissen sinken. »Es ist vorüber.«
»Ja. Und wir sind stolz auf dich. Du hast viel weiteres Unglück verhindert.«
Fine wandte ihr Gesicht wieder zur Bäuerin. Ernst fragte sie: »Was ist mit Hannes?«
»Er ist in Polizeigewahrsam. Man glaubt ihm wohl, dass er kein Mörder ist. Aber er muss in der Zelle bleiben.«
»Und Basti? Wo ist der?«
Die Oberlandbäuerin lächelte. »Schon wieder im Wald bei den Köhlern.«
»Ich will zu ihm«, Fine schlug die Decke beiseite und machte sich daran aufzustehen.
»Langsam«, die Bäuerin hielt sie zurück. »Erst musst du essen.«
Fine wusch sich und zog sich an, dann ging sie in die Küche, wo heiße Hühnersuppe, Brot und Schinken bereitstanden. Sie aß mit Appetit.
Die Großmagd bot an, Fine in den Wald zu begleiten, aber sie bestand darauf, allein zu gehen. Als sie aus dem Haus trat, bereitete ihr die Nachmittagssonne einen warmen Empfang. Sie nahm den Weg am Dorfrand entlang durch das Idyll des frühen Sommers. Doch so sehr sie sich auch wünschte, in freier Natur die Ereignisse des letztes Tages zu vergessen – es gelang ihr nicht. Im Gegenteil. Je weiter sie sich vom Hof entfernte, umso deutlicher wurden die Bilder vor ihrem inneren Auge: Marjanns Fratze, das Messer, das spritzende Blut, das Feuer. Ihr Leben lang müsste sie daran denken, wenn auch die Bilder mit der Zeit verblassen würden.
Fine versuchte, die Gedanken beiseitezuschieben. Um Basti zu finden, brauchte sie nur dem Geruch des Kohlemeilers zu folgen. In einiger Entfernung vom Meiler saß er am Boden und beobachtete den aufsteigenden Rauch. Als er Fine sah, sprang er auf und lief ihr entgegen. Sie fielen sich in die Arme. Und jetzt, als sie ihren Bruder wohlbehalten in Freiheit wusste, brach alles, was sich an Gefühlen seit dem Abend angestaut hatte, aus Fine heraus. Sie verbarg ihr Gesicht an Bastis Schulter und schluchzte laut.
Er zog sie zu sich. So saßen sie umschlungen im Gras, und zum ersten Mal in ihrem gemeinsamem Leben war er der Stärkere.
Den ganzen Nachmittag blieben sie beieinander und sprachen kaum. Abends auf dem Hof zog Fine sich früh in die Kammer zurück. Die anderen Mägde kümmerten sich um sie, schon bald konnte sie einschlummern. Das Weinen an Bastis Schultern hatte ihr gut getan, von argen Träumen blieb sie verschont.
Am nächsten Morgen fuhr sie mit dem Bauern nach Blankenheim zur Gendarmerie. Die Polizisten lobten sie sehr.
»Aber du weißt schon, in welch schreckliche Gefahr du dich gebracht hast?«, fragte Gerd.
»Ich weiß es heute«, entgegnete Fine. »Wenn ich geahnt hätte, wie gefährlich es wirklich war, hätte ich es nicht getan. Ich wollte ja eigentlich nur einen Brief lesen.«
Hauptmann Schmitz führte die weitere Vernehmung. Fine schilderte, was sich zugetragen hatte.
»Und da sind Sie sich sicher, Fräulein Aldenhoven?« Er sah sie eindringlich an. »Marianne Kürten wollte Sie töten?«
»Natürlich«, erwiderte Fine. »Mit dem Messer. Genau wie sie Lisbeth, Bärbel und Ulla auch umgebracht hat. Sie hat es ja gestanden, mir gegenüber. Und dann wollte sie mich töten. Aber ihr Sohn Hannes hat mich gerettet.«
Hauptmann Schmitz nickte bedächtig. »Könnte es denn vielleicht auch anders gewesen sein? Zum Beispiel so, dass Johannes Kürten der Mörder der anderen drei jungen Frauen war? Und dann wollte er auch Sie töten, Fräulein Aldenhoven. Aber seine Mutter wollte ihn daran hindern. Deswegen hat er seine Mutter umgebracht und wollte danach auch Sie töten, doch dann geriet das Haus in Brand und er konnte seinen Plan nicht mehr umsetzen?«
»Nein!« Fine schrie fast auf, so entsetzlich schien ihr der Gedanke. »Ganz sicher nicht! Hannes ist doch kein Mörder! Er hat doch mit der Leiter das Fenster aufgestoßen, um mich zu retten. Und er hat
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