Das magische Buch
sind gespannt. Es soll ja vorkommen, dass Lehrer gute Ideen haben.
»Wir setzen einen Lesepreis aus«, verkündet sie. »Am Ende des Schuljahres bekommt derjenige einen Preis, der die meisten Bücher gelesen hat.«
»Und woher wissen wir, wer die meisten Bücher gelesen hat?«, fragt Candela. »Was soll das überhaupt für ein Preis sein?«
»Wir verleihen ihm den Titel ›Goldener Leser‹. Was haltet ihr davon?«
»Und wenn es ein Mädchen ist?«, will Lucía wissen.
»Dann eben ›Goldene Leserin‹, ganz einfach«, sagt Señorita Clara.
Lucía gibt sich damit zufrieden. Aber alle warten darauf, was Sansón dazu sagt. Ich schaue Lucía an, sie schaut mich an. Sansón sieht die Lehrerin an und sagt:
»Ich mach nicht mit, ich will den Preis nicht.«
»Du weißt nicht, was du verpasst«, entgegnet die Lehrerin. »Du solltest es ausprobieren.«
»Und wie soll das Ganze funktionieren?«, erkundigt sich jemand.
»Ganz einfach … Jeder von euch sagt, welches Buch er oder sie gelesen hat, und wir erstellen eine Liste. Und am Ende des Jahres machen wir eine Feier in der Bücherei und stimmen darüber ab, wer den Preis bekommen soll.«
»Und wenn jemand lügt, um den Preis zu gewinnen, obwohl er überhaupt kein Buch gelesen hat?«, fragt Candela misstrauisch.
»Wir werden das eben kontrollieren und …«
Die Tür geht auf, und der Direktor kommt herein. Er geht zu Señorita Clara und flüstert ihr etwas ins Ohr. Sie reißt die Augen erschrocken auf und lehnt sich gegen ihr Pult.
»César, kommst du bitte mal her?«, sagt sie freundlich.
Immer wenn mein Name genannt wird, werde ich nervös. Ich weiß, dass es keinen Grund gibt, mich zu tadeln; aber vielleicht hat mein Bruder wieder mal was angestellt, und ich soll dafür geradestehen. Javier ist sehr wild, und ich habe immer Angst, dass ihm was passiert.
»Es gibt da ein Problem …«
»Ist was mit meinem Bruder?«, frage ich.
»Nein, es geht um deinen Vater. Er ist eben ins Krankenhaus gebracht worden«, erklärt mir die Lehrerin. »Eure Mutter hat uns angerufen, ihr sollt dorthin kommen … Tut mir leid.«
Ich wusste es! Ich wusste, dass mit Papa etwas nicht stimmt. Man hat es ihm angesehen. Und schuld daran ist dieses verdammte Buch, das er gerade schreibt! Sansón hat recht: Bücher sind das Letzte, sie machen nur Probleme.
»Wir haben ein Taxi gerufen, das euch direkt zum Krankenhaus bringt«, sagt der Direktor.
»Darf ich mitfahren?«, fragt Lucía.
»Das halte ich für keine gute Idee«, sagt der Direktor.
»Sie sind eng befreundet«, sagt die Lehrerin. »Lassen Sie sie doch mitfahren!«
»Na gut … Kommt, das Taxi wartet. Und dein Bruder auch.«
Die Nachricht ist mir auf den Magen geschlagen. Ich kann nicht sprechen, will nur so schnell wie möglich ins Krankenhaus. Ich fühle mich schuldig. Wenn wir in eine andere Stadt gezogen wären, ginge es Papa jetzt gut. Ich bin echt selbstsüchtig!
Das Taxi fährt sehr schnell, aber ich habe das Gefühl, dass es nur langsam vorankommt. Hoffentlich ist nichts Schlimmes passiert! Lucía drückt meine Hand, um mir Mut zu machen.
»Reg dich nicht auf«, sagt Javier, »damit machst du alles nur noch schlimmer. Außerdem darf Papa nicht mitkriegen, dass wir uns Sorgen machen.«
Javier ist jünger als ich, aber manchmal wirkt er viel erwachsener. Keine Ahnung, woher er die Gelassenheit nimmt.
Die Frau an der Rezeption ist über unser Kommen unterrichtet. Sie ist sehr nett zu uns und ruft einen Krankenpfleger.
»Er wird euch begleiten. Eure Mutter erwartet euch.«
»Was ist mit meinem Vater?«, frage ich ängstlich. »Geht es ihm gut?«
»Ihr könnt gleich zu ihm.«
Wir fahren mit dem Aufzug in die zweite Etage.
»Er liegt auf Zimmer Nummer 202«, sagt der Krankenpfleger zu uns.
Ganz vorsichtig öffnen wir die Tür. Das Zimmer liegt im Halbdunkel. Es erinnert mich an Papas Arbeitszimmer, wenn er abends schreibt und nur das Geräusch des Druckers zu hören ist, der Seite um Seite ausspuckt … Nur dass hier das Geräusch von anderen Apparaten kommt, an dem viele kleine Lichter leuchten und blinken.
Als ich Papa mit geschlossenen Augen im Bett liegen sehe, bekomme ich Angst.
Mama steht auf und geht mit uns hinaus auf den Flur.
»Er schläft jetzt«, sagt sie. »Es geht ihm schon wieder viel besser.«
»Was ist passiert?«, frage ich.
»Also, heute Morgen, kurz nachdem ihr weggegangen seid, bekam er plötzlich große Schmerzen in der Brust. Er hat kaum Luft gekriegt und war fast
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