Das magische Buch
hiergelassen. Ich erinnere mich, dass er sich nicht wohlfühlte. Ich war etwas besorgt …«
»Tja … eigentlich … er liegt im Krankenhaus«, sage ich. »Es geht ihm schon besser, aber …«
»Nichts Ernstes«, unterbricht mich Lucía. »Nur ein wenig Stress. Sie wissen schon, die Arbeit …«
»Das geht vielen so, wenn sie mit einem neuen Buch anfangen«, erwidert der Kellner. »Einige werden richtig krank davon. Schreiben ist eine sehr schwierige und anstrengende Arbeit. Manchmal frage ich mich, woher sie die Kraft nehmen, sich immer neue Geschichten auszudenken.«
»Stimmt es, dass einige richtig krank werden?«, frage ich.
»Ja, Schriftsteller sind sehr empfindsam«, antwortet Mariano. »Sie brauchen viel Zuneigung und Verständnis. Das ist das Einzige, was ihnen hilft.«
»Und Sie kümmern sich um sie?«, fragt Lucía.
»So gut ich kann, ja … Wenn ich euch erzählen würde, was man hier so alles zu sehen kriegt … Wollt ihr vielleicht etwas trinken?«
»Ja, zwei Orangensaft«, sagt Lucía, bevor ich antworten kann.
Mariano entfernt sich, und ich mache Lucía darauf aufmerksam, dass wir ins Krankenhaus zurückmüssen.
»Ach bitte, César, lass uns noch ein Weilchen hierbleiben!«
»Na gut«, willige ich ein, »aber nur ganz kurz.«
Lucía ist hin und weg. Das heißt, geistesabwesend. Sie taucht förmlich in die Stimmung ein, mit weit aufgerissenen Augen, damit ihr ja nichts entgeht.
»Sieh mal, einige schreiben mit der Hand«, bemerkt sie, »wie dein Vater.«
»Ja, vermutlich tippen sie das, was sie tagsüber schreiben, nachts ab … genau wie Papa.«
Mariano kommt mit zwei Orangensaft zurück und stellt sie auf den Tisch.
»Wenn ihr noch etwas möchtet, braucht ihr mir nur Bescheid zu sagen.«
»Danke, Mariano, vielen Dank …«
Ich habe gerade den ersten Schluck getrunken, als Lucía einen unterdrückten Schrei ausstößt.
»Großer Gott!«, flüstert sie. »Das darf nicht wahr sein!«
»Was ist denn los?«, frage ich.
»Weißt du, wer das magische Buch für Hanna schreiben wird?«
Lucía hat Papas Mappe aufgeschlagen und hält ein blaues Blatt Papier in der Hand. Es ist mit Anmerkungen vollgekritzelt. Da ich die Antwort nicht weiß, sehe ich sie nur an und sage nichts.
»Nevalia!«
»Nevalia soll das magische Buch schreiben?«, frage ich entgeistert. »Und Nasshan weiß von nichts!«
»Sie läuft Gefahr, blind zu werden, und er weiß es nicht!«
Mein Vater überrascht mich immer wieder. Auf jeder Seite neue Geheimnisse und Verwicklungen!
»Das ist ja furchtbar!«, seufzt Lucía.
Ich sehe, dass Mariano mit einigen Schriftstellern spricht. Wahrscheinlich erzählt er ihnen das mit meinem Vater. Einer von ihnen steht auf und kommt zu uns an den Tisch.
»Du bist der Sohn von César Durango, nicht wahr? … Bestell doch deinem Vater, seine Freunde vom Literarischen Zirkel wünschen ihm baldige Genesung. Sag ihm, dass wir ihn vermissen.«
»Ja, Señor, ich werd’s ihm sagen.«
»Und sag ihm, dass wir hoffen, bald sein neues Buch lesen zu können. Wir wissen, dass ihm der Anfang sehr schwergefallen ist, weil er zum ersten Mal zwei Bücher in derselben Stadt schreibt. Aber du kannst ihm sagen, auch uns hat es sehr viel Mühe gekostet, uns daran zu gewöhnen. Immer in derselben Umgebung zu schreiben ist nicht leicht für einen Schriftsteller …«
»Ist es Ihnen auch schwergefallen?«, erkundige ich mich.
»Klar, wie fast allen, die hier sitzen«, antwortet er lachend. »Aber wenn du ein paar Menschen hast, die dich verstehen, ist es leichter.«
Langsam geht der Mann zurück zu seinen Kollegen. Ich glaube, ich fange an, meinen Vater besser zu verstehen …
»Das hätte ich fast vergessen«, sagt Mariano und legt ein Buch auf den Tisch. »Es gehört deinem Vater … Es liegt schon eine ganze Weile hier rum.«
Lucía und ich lesen den Titel: Attila, der Hunnenkönig .
»Komischer Titel«, stelle ich fest. »Ich werde es Papa geben.«
»Das ist bestimmt für seine Nachforschungen«, bemerkt Lucía. »Schriftsteller brauchen so was.«
Ich sag’s ja, Schriftsteller sind seltsame Leute. Sie machen seltsame Dinge und lesen seltsame Bücher. Wer interessiert sich schon für die Geschichte von einem Barbaren namens Attila?
10
S ansón und Lorenzo passen mich mit ihren Freunden vor der Schule ab. Mir schwant nichts Gutes.
»Schriftstellersohn!«, schreit Sansón zu mir herüber. »Komm her, ich will mit dir reden!«
»Meinst du mich?«
»Tu nicht so blöd«, sagt er in drohendem
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